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Rubrik: Freak Aktuell
03. Dezember 2008

Ohne Pannen ins Berufsleben

von Valerie Kattenfeld

Gerade junge, behinderte Menschen haben es bei der Arbeitssuche oft schwer. Einerseits wird Erfahrung vorausgesetzt, andererseits gibt ihnen kaum jemand Gelegenheit, diese zu sammeln. Freak-Radio stellt Firmen vor, die diesem Trend entgegenwirken.

Viele Hinweisschilder mit Fragezeichen

copyright: Gerd Altmann www.pixelio.de

"Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung ist eine Lösung, und kein Problem" - so Andrea Schmon, Leiterin der Landesstelle Wien des Bundessozialamts am 30.Oktober 2008 bei einer Pressekonferenz. Anlass war die Präsentation des Wiener Unternehmensservice.

Vom Bundessozialamt beauftragte Consultingfirmen beraten rund um die Beschäftigung von ArbeitnehmerInnen mit Behinderung. Die Themen sind vielfältig: Von der Personalauswahl über den Kündigungsschutz bishin zu Förderungen. So sollen Berührungsängste abgebaut werden.

Mit Vollgas ins Berufsleben

Beim ÖAMTC sind mittlerweile alle Bedenken beseitigt. Schon seit Anfang 2005 arbeitet dort der hörbeeinträchtige Jürgen Muß in der technischen Abteilung. Gemeinsam mit elf anderen KollegInnen mit Behinderung bekam er beim ÖAMTC die Möglichkeit, einen seiner Ausbildung entsprechenden Beruf auszuüben.

Der Initiator dieses Projekts ist ÖAMTC-Personalmanager Franz Jank, der sich der speziellen Problematik bewusst ist: "Junge Menschen haben es oft schwer den Einstieg ins Berufsleben zu finden. Erfahrungen werden überall vorausgesetzt, aber es wird ihnen keine Chance geboten, diese zu machen." Als Vater einer gehörlosen Tochter ist ihm klar, dass behinderte junge Menschen es ungleich schwerer haben.

Das Auftreten gegen diese eingefahrenen Strukturen hat dem ÖAMTC sogar Vorteile gebracht - Jürgen Muß ist nach Ausbildung in der Fachschule für Maschinenbau und Fertigungstechnik nicht nur ein kompetenter Mitarbeiter, sondern hat auch das ÖAMTC Serviceangebot erweitert: Er initiierte das SMS Pannenservice sowie das Service in Gebärdensprache für hörbeeinträchtigte Mitglieder.

Wenn nun beispielsweise ein Mitglied zur Pickerlüberprüfung kommt und Fragen hat, übersetzt Jürgen Muß vor Ort in Worte und gibt die Antworten des Technikers in Gebärdensprache wider.

Neben dem technischen gibt es auch noch das juristische und touristische Service in Gebärdensprache, welches Jürgen Muss gemeinsam mit seiner Kollegin Christine Isepp managed, die aufgrund gehörloser Familienmitglieder die Gebärdensprache beherrscht.

"Das Service wird mit einer großen Begeisterung und Dankbarkeit angenommen und spricht sich wahnsinnig schnell herum." erzählt sie im Interview. Was an einem Tag in Eisenstadt präsentiert wurde, wussten die anderen am nächsten Tag schon im tiefsten Waldviertel. Christine Isepp ergänzt schmunzelnd: "Unter Gehörlosen ist das nämlich so, sie reden wirklich miteinander." Unter der E-Mail-Adresse gehoerlosenservice@oeamtc.at können Terminvereinbarungen und Informationsanfragen kommuniziert werden.

Ein Rezept für Integration?

Schwieriger, aber dennoch erfolgreich gestaltet sich die Kommunikation in der Marienapotheke im 6. Wiener Gemeindebezirk. Dort hat die Leiterin Karin Simonitsch im April 2008 den gehörlosen Lehrling David Iberer eingestellt, der zum pharmazeutisch-kaufmännischen Assistenten ausgebildet wird. Damit ist David Iberer der erste Gehörlose in der gesamten österreichischen Pharmazie.

Anders als Jürgen Muß kann er nicht sprechen und verständigt sich stattdessen mit Lauten und Gebärdensprache. Am Anfang hat vieles nur über Zeigen und Aufschreiben funktioniert, mittlerweile können sich die Mitarbeiter der Apotheke aber auch schon in Gebärdensprache ausdrücken - sie besuchen nämlich jeden Donnerstag gemeinsam einen Kurs und probieren das neu Gelernte sofort aus.

Karin Simonitsch ist sehr stolz auf ihren Lehrling und erwartet viel von ihm. Für die Zukunft wünscht sie sich, dass er gehörlose Kunden betreut und das Fachvokabular der Pharmazie in der Gebärdensprache erweitert. Sie sieht ihn als "intelligenten ambitionierten jungen Mann, der eben nicht hört" und nicht als behinderten Mitarbeiter. Deshalb bekommt er auch keine Sonderbehandlung und wird genauso gelobt und kritisiert wie andere Mitarbeiter.

Umgekehrt strengt sich der 20-jährige David sehr an und ist versucht, mehr zu leisten, als andere. "Man bekommt so viel zurück, wir bekommen eine Sprache vom David geschenkt."

Geben profitabler als Nehmen?

Ein Geben und Nehmen also. Vielleicht eine Tatsache, die vielen Betrieben noch nicht bewusst ist, weil sie nur die Seite des Investierens, der Rücksichtnahme, der speziellen Adaptierungen und des Aufwandes sehen. "Aber jeder behinderte Mensch hat eine spezielle Begabung. Entweder er rechnet super oder er kann wie kein anderer mit Menschen umgehen." sagt Jürgen Muß im Interview. Man muss sich einfach nur genau überlegen, wen man wofür am besten einsetzt. Gelingt dies, ist es ein Gewinn für beide Seiten.


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