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Rubrik: Leichter Lesen
09. September 2007

Liebe mit Hindernissen

von Franz Hoffmann und Gehard Wagner

Liebe ist bei Menschen mit Behinderungen noch immer ein verbotenes Thema (=Tabuthema). Was für die meisten selbstverständlich ist, daran dürfen viele Menschen, vor allem mit Lernschwierigkeiten, nicht einmal denken: Weil es sich die anderen nicht vorstellen können.

Auch von einer eigenen Wohnung träumen die meisten Menschen mit Behinderungen vergeblich.
Paul Rothen hat es geschafft. Seit Mai 2007 wohnt er jetzt in einer eigenen Wohnung und es geht ihm gut. Und einsam ist er nicht: "Mir ist nicht fad", sagt er in der Sendung.

Der Anlass für die Sendung ist ein ganz besonderes Theaterstück in Tulln in Niederösterreich (Tulln liegt zirka 50 Kilometer nordwestlich von Wien).

Gerlinde Zickler hat dieses Stehgreiftheater organisiert. Ein Stehgreiftheater hat keinen Text, der vorgegeben ist. Die Schauspieler reden frei - ohne Vorlage. Dieses Theaterstück hat im September 2007 stattgefunden. Mitgespielt haben: Paul Rothen, der sich selbst dargestellt hat. Ebenso dabei waren Mitglieder der Werkstätte in Tulln und aus anderen Einrichtungen. Mitgespielt haben auch Gäste von Freak-Radio.

Misstrauische Mutter

Das Stück handelt von Paul Rothen, der es geschafft hat, eine eigene Wohnung zu bekommen und eine Wohnungs-Einweihungsparty macht. Er lädt seine Freunde ein. Bei einer jungen Frau kommt sogar die Mutter mit. Sie ist nicht sicher, ob Paul alleine in einer eigenen Wohnung leben kann. Auch ihrer Tochter traut sie das nicht zu. Erst am Ende des Stücks glaubt die Mutter, dass es doch gehen könnte.
Alle Leute, die an der Radiosendung teilnehmen, haben auch im Stück mitgespielt. Es geht dort um das wichtige Thema der Liebe.

Frau Manuela und Herr Norbert spielen auch mit. Sie wohnen noch im Caritas Wohnhaus. Die beiden lieben einander. Seit wann? "Schon in der Schule", sagt Frau Manuela, dort hat sie ihren Freund kennen gelernt. Aber verliebt haben sie sich erst "im Wohnhaus" vor ein paar Jahren. Das bestätigt auch Herr Norbert.
Beide gehen gerne ins Caféhaus oder gemeinsam Radfahren. Manchmal geht Herr Norbert auch alleine spazieren, weil er sich dann gut beruhigen kann.
Norbert und Manuela haben sich sehr "lieb", wie sie selbst sagen.

Probleme mit der Freundin

In der neuen Wohnung von Paul Rothen steht auch ein Doppelbett. Das haben nicht alle gut gefunden, zum Beispiel die Schwiegereltern.
Paul Rothen berichtet, dass das Verhältnis zu seiner Freundin so lange gut gegangen ist, solange ihre Eltern nichts gewusst haben. Es hat schöne gemeinsame Ausflüge gegeben. Als sie sich einen privaten Termin ausmachen wollten, waren die Eltern dagegen.
Danach haben sie immer wieder Ausreden gefunden, damit sich beide nicht treffen können. Das war hart.
Öfters sogar, als sie sich im Caféhaus treffen wollten, ist auch die Mutter der Freundin mitgekommen. Paul wollte, dass seine Freundin darüber mit ihren Eltern redet, denn es hat gestört. Aber seine Freundin hat sich nicht getraut.

Die Schwiegereltern hatten Angst davor, dass sie eine Beziehung haben, sich vielleicht verloben oder gar heiraten.
"Aber das gehört zum Leben dazu!" meint Paul Rothen, "warum sollen Menschen mit Behinderung nicht lieben dürfen?"

Die Eltern der Freundin hatten Angst davor, dass es zu ernst wird. Hatten sie vielleicht auch Angst davor, dass es Kinder geben könnte? Paul Rothen verneint, denn die Eltern der Freundin haben ja gewusst, dass beide verhüten. Diese Einmischung der Eltern der Freundin waren der Grund, warum es zur Trennung kam. Die eigenen Eltern haben die Beziehung gut gefunden.

Recht auf Liebe

Gerlinde Zickler setzt sich sehr für andere ein. Sie sagt, solche Dinge sind der Grund, warum es dieses Theaterstück gegeben hat. Sie berichtet über ihre eigene Vergangenheit als behinderte Frau. Auch bei ihr hatten viele Menschen etwas dagegen, dass sie heiratet. Einige haben ihrem Mann geraten, dass er nicht eine Frau mit einem buckligem Rücken heiraten soll. Er hat nicht darauf gehört. Beide sind jetzt schon seit 40 Jahren verheiratet.
"Auch wir behinderte Menschen haben Gefühle und wollen geliebt werden. Das ist ganz wichtig!" sagt Gerlinde Zickler.

Aggressiv (=wütend) geworden

Gerlinde Zickler berichtet von einem anderem Beispiel. Die Eltern eines über 30-jährigen behinderten Mannes konnten ihn nicht loslassen und haben sich ständig eingemischt. Doch viele wollen wenigstens ein paar Stunden alleine, ohne Eltern und Großeltern verbringen. Aber die Eltern haben ihn dadurch so unter Druck gesetzt, dass er aggressiv geworden ist und seine Wut an anderen ausgelassen hat.
Es hat sich herausgestellt, dass die Großmutter und die Mutter ihn nie alleine gelassen haben und immer wieder gekommen sind. Deshalb konnte er weder Fußball spielen noch etwas mit Freunden unternehmen. Er hat sich am Schluss sogar selbst verletzt, weil er es nicht mehr ausgehalten hat.

Viele Menschen ohne Behinderungen haben es schon schwer, sich von den Eltern selbständig zu machen und ein eigenes Leben zu führen. Viel schwieriger ist es aber, wenn behinderte Menschen von den Eltern abhängig sind oder sich nicht richtig ausdrücken können.

Der junge Mann lebt jetzt woanders. Aber seine Freundin ist sehr traurig, dass beide getrennt sind. Gerlinde Zickler hofft, dass sie eine Lösung finden können, damit beide wieder zusammen sein können.

Nicht alle Eltern wollen es verhindern

Eine Mutter berichtet, dass sie ihre behinderte erwachsene Tochter unterstützt, zu ihrem Freund zu gehen. Auch andere Eltern tun das. Vielleicht kann man den ängstlichen Eltern ihre Furcht nehmen? Man sollte mit ihnen reden. Warum Eltern davor Angst haben, dass sich junge Menschen gerne haben und gerne zusammen sind, ist ihr völlig unverständlich.

Liebe im Hotel?

Ein junger Mann berichtet von seiner Liebe. Er wohnt in Wien in einer Gemeindewohnung, die nicht behindertengerecht ist. Seine Freundin wohnt in einem Wohnhaus der Lebenshilfe Wien. Für ihn ist die Beziehung dadurch sehr schwierig, dass er die Freundin im Wohnhaus unter der Woche nicht besuchen darf. Zusammenkommen können sie nur am Freitag und am Samstag. Und am Sonntag muss er um 18 Uhr das Haus verlassen. Gemeinsam die Nacht verbringen können sie deshalb nur selten. Weil die Freundin im Rollstuhl die Gemeindewohnung mit Stufen nicht erreicht, überlegen sich beide, einmal in ein Hotel zu gehen. Denn es geht nicht anders, weil man im Wohnhaus alles durchhört.

Wie geht es Paul Rothen in seiner neuen Wohnung?

Er hat sein Leben gut im Griff und bezahlt auch die Rechnungen selbst. Das hat bisher bestens funktioniert, es hat noch nie eine Mahnung gegeben. Paul Rothen lebt mit betreutem Wohnen. Es kommt einmal in der Woche eine Mitarbeiterin der Caritas vorbei, die ihn bei kleineren Dingen unterstützt.

Gerlinde Zickler wünscht ihm auch noch bald eine liebe Freundin dazu, damit er glücklich ist.
Das Stehgreiftheater, das jetzt gerade in Tulln aufgeführt wird, ist sehr wichtig, damit die Menschen darüber nachdenken. Und so kann sich etwas verändern.

Sendungsverantwortlich: Gerhard Wagner


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