Seitenanfang:

Link zum InhaltLink zum MenüLink zur Suche

Inhalt:

Rubrik: Lesen statt Hören
17. Juni 2007

König im eigenen Reich?

von Franz Alexander Stanzl

In dieser Sendung erzählen fünf Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen aus ihrem Berufsalltag: wenn einer einen Arbeitsplatz, aber kein konkretes Aufgabengebiet bekommt etwa, oder wenn eine andere gegen alle Skepsis der Umgebung erfolgreich ist - oder warum manche nur in der Selbständigkeit die Möglichkeit sehen, mit Behinderung zu arbeiten.Gibt es Gleichstellung
am Arbeitsmarkt überhaupt? Fünf unterschiedliche Geschichten, fünf unterschiedliche Antworten auf der Suche nach ihrem Platz in der Arbeitswelt.

Anmoderation, Julia Wolkerstorfer: König im eigenen Reich? Oder: Ungehindert bei der Arbeit. Vorurteile von Arbeitgebern, Einschränkungen bei der Arbeit durch eine Behinderung und mangelndes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten können den Arbeitsalltag manchmal ganz schön schwierig machen. Begleiten Sie uns mit Franz Josef Stanzl auf unserer Suche nach dem UNBEKANNTEN, die uns zu verschiedenen Menschen geführt hat. Menschen, die beschreiben, was es für sie bedeutet, in der Arbeit GLEICHGESTELLT zu sein. Oder DISKRIMINIERT zu werden.

Harald Fiedler: Arbeitgeber glauben einfach, dass Menschen mit Behinderungen von einem anderen Stern kommen, haben Berührungsängste, haben keine Erfahrung von Menschen mit Behinderungen, haben noch nie einen Menschen mit Behinderung getroffen, ihn kennen gelernt, mit ihm gesprochen - es ist eben das Unbekannte, das Arbeitgeber fürchten.

Freak-Radio-Moderator, Franz Josef Stanzl: Das UNBEKANNTE? Wos is des? Letzte Woche habe ich mit Kurt Schneider, einem Psychotherapeuten und Liesl Frankl, Trainerin in der Erwachsenenbildung, darüber Interviews gemacht. Arbeiten gehen ohne Angst? Ohne Angst vor Diskriminierung?weil man vielleicht bisschen anders ist? Anders als der Mainstream? Gibt´s so was? Gibt´s die Gleichstellung in der Arbeitswelt? Ich wollte jedenfalls mit Menschen darüber sprechen, die ihren Weg gefunden haben. Und mit anderen, die ihn gar nicht mehr finden können oder vielleicht nicht finden wollen. Bringen wir ein bisschen Licht ins das dunkle UNBEKANNTE. Claudia Houdek hab ich unlängst kennengelernt, als ich einen Stempel eingekauft habe. Seit ihrem Arbeitsunfall versucht Claudia Houdek mit den Folgeerscheinungen, die sie behindern, zurecht zu kommen.

Claudia Houdek: Also von der Arbeit her ist es sehr sehr schwierig für mich worden, ich darf nicht mehr als 3 bis 5 Kilo überhaupt heben, ah,wenn man berechnet was ein einzelnes Packerl Kopierpapier, mit dem ich halt hantieren muß, wie schwer das ist, kann man sich vorstellen dass ich nicht einmal mehr ein Packerl Kopierpapier in meinen Kopierer selbstständig alleine reintun sollte. Man tut´s halt doch. Ich hab Textilpressen die bedient werden müssen, ohne Hilfe geht gar nix. Also ich mach hauptsächlich die Kundenbetreuung, weil meinem Mund ist gottseidank noch nix passiert, das ist eigentlich mein größtes Gut im Moment. Kundenbetreuung, Kundenberatung, ja und alles was im Hintergrund lauft, alles was ich früher alleine gemacht hab, macht jetzt ein Mitarbeiter von mir.

Moderator: Irgendwann im Gespräch scherzt Claudia :Claudia Houdek : Eigentlich könnt ich mir ja selbst ein Leiberl drucken, auf dem steht: I bin behindert. Bei ihr sieht man das nicht gleich. Eigentlich »GOR NED« Sie hat keine offensichtliche Behinderung, aber ein offensichtliches Problem mit ihrem Kampf um die Arbeit. Eigentlich war sie ja angestellt, aber seit dem Unfall bekommt sie fast nur noch Absagen - und das Arbeitsamt stuft sie sofort als Langzeitarbeitslose ein. Das hat sie geärgert. Vor ein paar Jahren hat sie dann die Chance ergriffen, sich selbständig zu machen. Ist aber nicht immer so einfach.

Claudia Houdek: "Ja, das wär halt einfach schön, dass man auch als Selbständiger, wies in meinem Fall ist, vielleicht doch eine Unterstützung bekommt in irgendeiner Weise, weil ich find das schon cool, wenn man als Behinderter sagt:" O.K., ich mach mich selbstständig, ich find das eigentlich auch persönlich relativ mutig, weil man ja weiss, man kann nicht mehr das ganze Potential liefern das man normalerweise liefern könnte.

Moderator: Als Selbständige hat Claudia Houdek andere Dienstzeiten als Angestelle haben und sie spürt eine klare Verantwortung für ihr Geschäft.

Claudia Houdek: Ich dürfte zum Beispiel auch jedes Jahr 6 Wochen am weißen Hof fahren, nur es geht sich einfach zeitmäßig gar nicht aus, es gibt hunderttausend Sachen die mir gut tun würden die sich aber nicht ausgehen zeitmäßig. Ich kann mein Geschäft nicht 6 Wochen alleine lassen und ich kann auch als Angestellter nicht sagen: Liebe Leute, ich mach jetzt 6 Wochen Therapie. Es geht einfach nicht?

Moderator: Irgendwie kennen wir das wahrscheinlich alle. Da ist auf der einen Seite die Arbeit, die zu tun ist, auf der anderen Seite sollt ma schauen, dass einem nicht die Luft ausgeht. Für Claudia Houdek bringt der Weg der Selbständigkeit trotzdem eine große Fuhr Freiheit und ein Stück mehr Unabhängigkeit mit sich. Ein Stück mehr von sich selbst? wo die Behinderung nicht an erster Stelle steht. Das erinnert mich an eine Passage im Interview mit dem Psychotherapeuten Kurt Schneider. Der ja selbst auch Rollstuhlfahrer ist.
Er hat über die Vorteile gesprochen, die Menschen mit Behinderungen erleben, wenn sie sich selbständig machen.

Kurt Schneider: Die Selbständigkeit bietet die Möglichkeit, sich mit seiner Ganzheit einzubringen und nicht nur kämpfen zu müssen, dass ich meinem Dienstgeber sagen muss: "Ich bin nicht nur behindert (mit dem Einstellungsschein), sondern ich bin selbsständig und kann zunächst einmal auf meine Kompetenzen hinweisen, und erst als zweites dann auf die Behinderung."

Moderator: Harald Fiedler hat mir SEINE Geschichte erzählt. Er arbeitet als Verwaltungsangestellter schon seit Jahren in einem Krankenhaus, obwohl er nach dem Handelsschulabschluss ja eigentlich 15 Jahre blau machen wollte.

Harald Fiedler: Dass es so schnell mit der Arbeit ging, das hat mich überrascht und zu Beginn hatte ich den Eindruck dass ich hier als Quotenenfüller dienen sollte, als als wertvolle eigenverantwortliche Arbeitskraft, und dementsprechend wurde ich auch in ein Büro hineingesetzt, und mir wurde anfänglich kein Aufgabenbereich zugeteilt und zuerkannt,sondern es hieß Fiedler, Sie setzen sich in das Büro da hinein und um halb vier haben Sie Schluss.

Moderator: Harald Fiedler ist blind. Dass er deshalb kein QUOTENFÜLLER sein will, ist klar. War er aber auch nie. Für die Leute, mit denen er zusammenarbeitet, jedenfalls nicht. Da geht´s um IHN und nicht darum, OB oder WAS er nicht sieht.

Harald Fiedler: Meine Kollegen haben so das Gefühl, dass ich arbeiten kann und arbeiten will, nur dass ich Hilfe brauche. Ich habe meinen Kollegen immer gesagt, sie sollen mir keine handschriftlichen Unterlagen geben, trotzdem machen sie es noch immer und es ist sozusagen ihre eigen Schuld wenn ich zu ihnen dann komme und sie um Hilfe bitte.

Moderator: Ein HONIGSCHLECKEN war´s aber NICHT immer. Pass ich da hin? Werd ich alles managen können? Fragen über Fragen. Ängste, EMOTIONEN!!!

Harald Fiedler: Am Anfang vergoss ich mehrere Tränen und ging manchmal weinend aus dem Büro weil ich keine Zukunft sah und trotzdem wusste dass das meine Zukunft ist. Und jetzt in der Zwischenzeit hat sich das geändert, jetzt gehe ich gerne in die Arbeit, seit 10 - 15 Jahren gehe ich gerne in die Arbeit weil ich weiss dass ich da ein Aufgabengebiet habe und bei meinen Kollegen akzeptiert bin.

Moderator: Es hat einige Jahre gedauert, bis sich Harald Fiedler Stück für Stück seine Arbeitsbereiche erobert hatte.

Harald Fiedler: Mir wird ein eigenes kleines Aufgabengebiet zugestanden, in diesem kleinen Reich bin ich König, und ich kann mir meine Arbeit eigens einteilen und weiss, wenn ich gerade keine Rechnungen kontieren will, weil das elendiglich fad ist, dann mach ich eben die Krankengeschichtsanforderungen.

Moderator: (Sinnierend) Naja, eigentlich hat sich Harald Fiedler auch als Angestellter eine gewisse Selbständigkeit erkämpft. Ja, König sein, in seinem eigenen Reich, das hat was. Eigentlich ist eine Arbeit, die uns was gibt, ja für uns alle wichtig. Dazu hat ja auch Kurt Schneider was gsagt.

Kurt Schneider: Um zufrieden leben zu können, ist es notwendig, die eigenen Grenzen und den eigenen Raum immer wieder zu überprüfen und darauf schauen, ihn zu erweitern, weil das letzten Endes zufrieden macht.

Musikeinspielung: Houseverstand, Mein inneres Team

Moderator: Sind sie eigentlich noch brauchbar für die Arbeitswelt? - Das hat sich Brigitta Meirenz gefragt. Sie hat mir in einem Kaffeehaus von dem Tag erzählt, an dem plötzlich alles anders war. In ihrer Arbeit als Heimhilfe hat sie versucht, eine Frau vor einem Sturz zu bewahren. Die war allerdings viel schwerer als sie. Doch dann verliert die Frau plötzlich das Gleichgewicht und reißt Brigitta Meirenz mit. Deshalb hat sie heute Lähmungserscheinungen.

Brigitta Meirenz: Ich genieße derzeit Pensionsvorschuss aus einem guten Grund, weil ich hatte vor 2 Jahren einen Arbeitsunfall, der mir ziemlich zu schaffen macht und somit bin ich natürlich für die Arbeitswelt derzeit nicht brauchbar.

Moderator: Aber jetzt mal ganz abgesehen von ihrem Unfall?Wer besteht in dieser Welt? Die Großen? Die Kleinen? Die, die´s verstehen, sich groß zu machen? Brigitta Meirenz war in ihrer Arbeit mit 1 Meter 50 sowieso immer "DIE KLAANE".

Brigitta Meirenz: Man unterschätzt die Leute wirklich, wo man dann sagt, ja, also, was will die Klaane, net, man herts ja immer wieder, net, dass man sagt: "Jesus-na, wos is denn des?" und "um Gottes willen, was will die Kleine mir sagen. Nachdem sie mich dann aber näher gekannt haben und kennen gelernt hatten, wie ich wirklich bin und auch gemerkt haben, wie ich mit Leuten und mit Menschen umgehe, hams sie mir die Chance geben. Ich hab immer von meinem Chef gehört: "Was besseres wie Dich konnte uns gar nicht passieren." Und da war ich schon sehr stolz. Also das hat mich dann auch ziemlich groß gemacht. (lacht)

Moderator: GLEICHSTELLUNG in der Arbeitswelt? Worum geht´s ihr denn da jetzt wirklich?

Brigitta Meirenz: Ich bin der Meinung, jeder Mensch, ob?jetzt männlich oder weiblich, hat das Recht gleichgestellt zu sein, aus einem guten Grund, weil wenn ich dieselbe Arbeit mache, möchte ich auch denselben Lohn zum Beispiel erhalten? Und ich find, jeder Mensch sollte für das, was er tut, auch die richtige Anerkennung ernten.

Moderator: Liesl Frankl ist als Psychologin in einer Beratungsstelle tätig, in der es unter anderem darum geht, Menschen bei privaten aber eben auch bei beruflichen Entscheidungen zu begleiten. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit ihr, in dem es um diesen so dehnbaren Begriff der GLEICHSTELLUNG geht.

Liesl Frankl: Gleichstellung bedeutet, wenn jeder Mensch die Chance hat, aus sich das Beste herauszuholen.

Moderator: Vielleicht kennen Sie das Gefühl: An der Oberfläche fühlt man sich gleichgestellt (scherzhaft: oder net zwangsläufig diskriminiert;), innen drin brodelt es aber irgendwo. Oft sind es ja auch kleine Dinge, die besprochen werden sollten, um die Welt ein bisschen klarer zu machen. Und genau DAS will die sogenannte Schlichtung im Bundesbehindertengleichstellungsgesetz. Schlichtung bedeutet, dass jeder, der sich diskriminiert fühlt, eine verbindliche Aussprache mit demjenigen führen kann, der absichtlich oder sogar meist unabsichtlich diskriminiert. Kurt Schneider dazu:

Kurt Schneider: Das Gleichstellungsgesetz kann bewirken, dass es ein konfliktlösendes Potential auslöst: Hat man mit seinem Dienstgeber oder mit seiner Umgebung Konflikte, dann ist es oft schwer, auseinanderzuklauben, ob dieser Konflikt oder dieses Gefühl der Diskriminierung aufgrund der Behinderung gegeben ist oder aufgrund irgendeines Verhaltens oder weil die Arbeitsleistung für den Dienstgeber nicht stimmt.

Und hier besteht auf jeden Fall die Möglichkeit, mittels Mediation oder klärender Gespräche diese Sache so richtig auseinanderzuklauben und zumindest mehr Klarheit zu gewinnen, ob man noch weiter kann oder ob verschiedene Strukturen und Mechanismen verändert werden können oder müssen. Oft liegt das ja nicht so sehr an großen Veränderungen, sondern oft an Kleinigkeiten.

Musik:

Moderation Und wie ich so über diese GLEICHSTELLUNG nachdenke, gehe ich in eine Galerie im ersten Bezirk hinein und lerne dort den außergewöhnlichen Künstler Les Tardes Goldscheider kennen.

Les Tardes Goldscheider: Ich hab mich nie gleichgestellt gefühlt, ich habe immer das Gfühl ghabt, dass ich was Besonderes bin, und das wünsch ich jedem Menschen, dass er das Gefühl hat, er ist was Besonderes? Jeder Mensch ist einzigartig, ja, und ich glaub, dass diese ganzen Urteile eigentlich der Beginn von sehr viel Unglück ist, gesellschaftlich gesehen, dass wir immer alle messen, ja, anhand von irgendwelchen Maßstäben. Tatsächlich sind wir nicht messbar, wir sind nur erfahrbar.

Moderator: Les Tardes Goldscheider hat sich gefragt, woher diese SEHNSUCHT NACH GLEICHSTELLUNG überhaupt kommt. Acht Jahre lang auf Drogen. Heute ist er im Methadon-Programm, das ist eine Ersatztherapie für opiatabhängige Menschen. Psychische Behinderungen - Sucht und Abhängigkeit gehören ja dazu - machen es in der Arbeitswelt auch nicht wirklich einfacher. Vor Jahren hat er seine Freundin verloren, die an einer Überdosis gestorben ist. Das hat ihn zu(r) Malerei und (zur) Lyrik gebracht.
Jetzt ist er Künstler und malt Bilder auf Leben und Tod. Arbeit und Identität erscheinen nicht nur als Einheit, sondern als NOTWENDIGKEIT. Um am Leben zu bleiben.

Les Tardes Goldscheider: Die Kunst - ist Beschäftigung mit mir selbst, und dass ich damit Geld verdienen kann, ist ein positiver Nebeneffekt, die Kunst ist für mich auch - Lebensrettung, oder so was, einfach Das was verhindert, dass man ausflippt, oder so. - Oder wo man einfach irgendwas aus sich selbst heraus hineinpacken kann, einen Ort findet, wo man gewisse Dinge hintun kann, wo man sonst nicht wüsste wohin damit, ja. - Unsichtbare Dinge sichtbar zu machen, damit man sie nicht mehr in sich trägt, zum Beispiel.

Moderator: Er stellt Ölbilder aus, die für mich eine starke Kraft im Raum entstehen lassen. ERFÜLLUNG oder so etwas wie GLÜCKLICHSEIN sucht Goldscheider in der ARBEITSWELT aber schon lange nicht mehr. Seine künstlerische Arbeit sieht er persönlich nicht als seinen JOB und er kann sich heute nicht vorstellen, jemals wieder so etwas wie ein "klassisches" Arbeitsverhältnis einzugehen.

Les Tardes Goldscheider: Ich habe gewusst, dass es mehr Sinn ergibt sich in eine UBahn zu setzen mit einer Flasche Bier und mit irgendwem ins Gespräch zu kommen. Das ist viel echter als auf seiner eigenen Vernisage zu stehen.
Musikeinspielung: Houseverstand, Männer unter meinen Freunden
U-Bahn-Atmo

Moderator: Auf meinem Weg zurück mit der U-Bahn ist mir dann im Funkhaus ein Seminar aufgefallen . Ein paar Journalisten mit und ohne Behinderung und mitten drin zwei Gebärdensprachdolmetscherinnen. Die Seminarleiterin, Christine Linnartz, macht unter anderem Coaching für hörende und gehörlose Menschen. Christine Linnartz ist selbst gehörlos. Ich wollte sie sofort interviewen. Wir hören die Gebärdensprachdolmetscherin Patricia Brück, sie leiht ihre Stimme Christine Linnartz.

Christine Linnartz: Man hat zu mir gesagt du willst studieren? Im sprachlichen Bereich, das passt doch überhaupt nicht. Wenn du wiff bist dann musst du sozusagen zur Technik. Und ich hab gsagt, dass interessiert mich nicht! Ich will mit den Menschen zu tun haben.

Moderator: Christine Linnartz, die ja in ihren Seminaren mit vielen Menschen Kontakt hat, macht sich über ihre eigene Situation schon früh Gedanken.

Christine Linnartz: Ich habe mir schon überlegt was passiert wäre wenn ich nicht gehörlos wäre. Was aus mir geworden wäre. Ich denke das wär eine "no-name" Person gewesen, eine graue Maus. Irgendwo im Verwaltungsapparat in Trier ein kleines Rädchen. Meine Mutter hat dort gearbeitet. Ich würde dort wahrscheinlich auch arbeiten. Uabhängig jetzt mal von der Position, ja. Aber ich denke ich hätte das Gefühl wie ein Rädchen in einer Maschine, denk ich mir. Aber durch die Gehörlosigkeit habe ich eine Chance bekommen, - durch meine Gehörlosigkeit hat sich mein Horizont erweitert ganz immens!

Moderator: A uf mich hat das so lebendig gewirkt, auch so erfüllt von dem, was sie tut. Die Gehörlosigkeit wurde für sie zur BERUFUNG!

Christine Linnartz: Lebenswerk, mein Lebenswerk, das ist das wo ich meine Person einbringen kann. Meine Familie und meine Arbeit das ist irgendwie eine Symbiose für mich. Alles zusammen, meine Person, das erfüllt mich einfach. Das bin ich!

Moderator: Das BIN ich! WAS für eine spannende Begegnung mit dieser Frau, nicht nur deshalb, weil sie mich mit ihren Gedanken immer wieder überrascht hat.

Christine Linnartz: Was Gleichstellung heißt? das ist eine schwierige philosophische Frage. Ich denke Gleichstellung war immer schon ein Thema und ich hab immer dafür gekämpft. Selbstverständlich, wenn etwas fehlt, dann muss ich mir das selber holen, damit ich diese Gleichstellung erreiche. Ich muss dafür kämpfen. Das ist wahrscheinlich eine sehr individuelle und persönliche Frage. Z.B. andere Menschen mit Behinderung, wenn ich dahinschau, ich muss eigentlich sagen wir brauchen keine Gleichstellung. Der wahre Grund ist eigentlich. Wir erreichen eigentlich mehr als durch Gleichstellungsgesetze, die sozusagen genau festlegen was wir fordern können und was nicht. Ich denke wir können es besser erreichen ohne. Einfach, wir wollen Luft zum Atmen, das tägliche Brot wollen wir einfach zum Leben haben und darüber zu diskutieren, halte ich nicht für notwendig.

Moderator: Christine Linnartz hat ihren Weg gemacht. Und dabei ist ein Gesetz für sie nicht so wichtig. Wichtiger ist, sich selbst seiner Stellung und seiner Fähigkeiten bewusst zu werden und sich darauf zu besinnen. HHHHMMMMMMMMMM?..
Gibt´s so was wie ein RECHT auf Arbeit überhaupt? Liesl Frankl dazu:

Liesl Frankl: Es heißt jetzt nicht, dass, wenn sich jemand bei einem Betrieb bewirbt, der in irgendeiner Form eine Benachteiligung oder Behinderung hat, der nicht diesen Betrieb eventuell überzeugen könnte, dass er oder sie die Richtige ist für diesen Arbeitsplatz. Natürlich geht das. Und nicht jeder betrieb funktioniert gleich. Zwingen lässt sich nichts und niemand, weil die Wirtschaft eben so ist wie sie ist . Ich hab kein Recht auf Arbeit, das steht nirgends, steht nicht in der Verfassung.

Moderator: Ein Recht auf Arbeit gibt´s also nicht, aber seit eineinhalb Jahren ein Recht auf Gleichstellung.

Liesl Frankl: Ich denke, es geht darum, selbstverständlich auf jeden Menschen zuzugehen und die eigene Behinderung auch wirklich bewusst zu haben und sie auch ins Gespräch einzubringen und eine Gebrauchsanweisung mitzugeben, dem anderen gegenüber, wie soll man mit mir umgehen?

Moderator: Irgendwie bringt das ein bissl Licht ins Unbekannte. Wobei ich mir sicher bin, dass es da noch Einiges zu entdecken gibt.

Liesl Frankl: Ich denk, dass ist überhaupt die Gretchenfrage mit der sich alle Menschen mit Behinderung bei der Arbeitssuche ausseinandersetzen. Vor allem bei jenen Behinderung wo sie nicht so sichtbar ist. Also meine Empfehlung ist, die Behinderung zu deklarieren und gleichzeitig aber auch auf die Qualifikationen und auf die Tätigkeit die ich ausführen kann und möchte, die ebenfalls mit gleichen Gewicht wie die Behinderung zu kommunizieren.

Freak-Radio-Moderator, Franz Alexander Stanzl: Interessant, es geht also nicht nur um Gleichstellung, sondern auch um ein Gleichgewicht. Gleichstellung ermöglicht uns, unsere Stärken zu entfalten. Es geht also auch ums Gewicht, das wir uns SELBER geben.
Ein spannender Weg ins das große Unbekannte. So unbekannt ist´s eigentlich gar ned. Vertraut´s a bissl auf Euch!

Musikzuspielung:

Houseverstand, Willkommen im Club der Erträglichen

Abmoderation, Julia Wolkerstorfer: "König im eigenen Reich? Oder: Ungehindert bei der Arbeit." Eine Sendung von Christoph Dirnbacher, Chris Egger, Gerhard Wagner, Julia Wolkerstorfer und Eva Binder. Gesprochen hat Franz Alexander Stanzl.
Studiotechnik: Franz Winkler.

Musik: Houseverstand

Am kommenden Sonntag, dem 24. Juni hören Sie bei Freak Radio: Echt Stoak - Eine Band kommt zu Wort. Eine Aufzeichnung aus dem ORF Kulturcafe von und mit Katharina Zabransky.

Selbstbestimmt-mit-allen-Sinnen-Jingle

 

Sie hörten eine Sendung der Schwerpunktreihe "Selbstbestimmt mit allen Sinnen. Wege zur Gleichstellung, Wege ohne Diskriminierung", die vom Bundessozialamt aus Mitteln der Beschäftigungsoffensive der österreichischen Bundesregierung gefördert wird.

Bild:


Link speichern auf:addthis.comFacebookYiggItMister Wongstumbleupon.comdel.icio.usMa.gnoliaask.comdigg.comTechnoratiYahooMyWeblive.com
Seitenanfang