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Rubrik: Freak Aktuell
22. September 2007

Jede Universität gibt sich ein eigenes Profil!

von Gerhard Wagner

Dr. Felicitas Pflichter ist im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung in der Abteilung I/10 "Studieninnovationen und Forschungsfragen im Hochschulbereich" tätig. Sie ist somit unter anderem für Integrations- und Erleichterungsmaßnahmen für Studierende mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten zuständig.

Felicitas Pflichter

Bild: Felicitas Pflichter

Freak-Radio: Kann man mit Behinderung eigentlich in Österreich frei studieren?

Dr. Felicitas Pflichter: Prinzipiell ja, selbstverständlich.

Freak-Radio: Was muss man dabei speziell beachten, wenn man eine Behinderung hat?

Dr. Felicitas Pflichter: Ich denke, es wäre sehr klug, an der jeweiligen Universität oder auch Fachhochschule zu erkundigen: Wie sieht es mit der Barrierefreiheit aus? Wie sieht es mit dem Studienplan aus?
Das machen übrigens auch die meisten, bevor sie sich überhaupt für ein Studium interessieren.
Das Institut "Integriert Studieren" an der Universität Linz bietet solche Eingangsphasen an und andere Universitäten beginnen das zu übernehmen.

Freak-Radio: Es gibt ja auch die Möglichkeit, sich bei der Berufs- und Studieninformationsmesse zu erkundigen, da gibt es ja meistens die "BeSt - Barrierefrei".

Dr. Felicitas Pflichter: Selbstverständlich. Solche großen Veranstaltungen sind natürlich prädestiniert, sich einen Überblick zu verschaffen und die Informationen einzuholen, die man braucht.

Freak-Radio: Jetzt sind aber die Universitäten autonom. Gibt es Maßnahmen, die in die universitäre Autonomie fallen? Und ist es dann möglich, dass sich die Bedingungen an verschiedenen Universitäten unterscheiden können?

Dr. Felicitas Pflichter: Die sogenannte Autonomie, die Universitäten seit dem In-Kraft-Treten des Universitätsgesetzes 2002 besitzen, bezieht sich natürlich auf alles, was angeboten wird. Im konkreten Fall wären das sämtliche Integrationsmaßnahmen, also von der Barrierefreiheit der Gebäude bis zur Barrierefreiheit des Online-Angebotes einzelner Studienteile. Das ist ein sehr, sehr breiter Fächer.

Was die Universitäten auch noch tun können, und das tun sie auch in zunehmendem Ausmaß, ist, dass sie sich unterschiedliche Profile geben. Zum Beispiel: ich bin speziell für gesundheitlich beeinträchtigte Studierende da, die und die Angebote mache ich speziell dafür. Das wird langsam State-of-the-Art. In den letzten und gleichzeitig ersten Leistungsvereinbarungen im vergangenen September kann man aus der Analyse der Vereinbarungen schließen, dass es eine enorme Anstrengung von vielen Universitäten gibt, spezielle Angebote zu erstellen.

Freak-Radio: Welche Angebote sind das zum Beispiel?

Dr. Felicitas Pflichter: Das reicht von der Befreiung der Studienbeiträge bis zur speziellen Unterstützung wie zum Beispiel von der Universität Linz mit ihren Fernstudienangeboten.

Um nur eines zu nennen: Multimedia Jus, das ist ein praktisch frei online gebundenes mit CD-Rom gebundenes und nur mit sozialen Phasen verknüpftes Studium und dem eben schon erwähnten Institut "Integriert Studieren", das eine ganze Palette von Tools anbietet, um Studierende zu unterstützen.

Freak-Radio: In diesem Fall gibt es aber noch Unterschiede, dass man an manchen Universitäten von den Studiengebühren befreit wird und an anderen eben nicht. Um Beispiele zu nennen: Die Universität Wien hat diese Befreiung, aber die Wirtschaftsuniversität hat sie zum Beispiel nicht.

Dr. Felicitas Pflichter: Ich habe es schon gesagt: Es liegt an den Universitäten selbst. Man gibt sich eben ein Profil. Die Universität Salzburg zum Beispiel hat das auch. Sie befreit ihre Studierenden, wenn sie sich deklarieren - das muss man schon auch dazu sagen, man muss sich natürlich deklarieren - von der Studiengebühr, vom Studienbeitrag. Wenn ich da jetzt richtig liege, sogar unabhängig von der Anerkennung des Bundessozialamtes: Die Behinderung muss also nicht mehr als fünfzig Prozent betragen, auch darunter befreit die Universität Salzburg von der Gebühr.

Freak-Radio: Gibt es Rahmenbedingungen, die Gesetz oder auch das Ministerium festlegen? Wie sieht es zum Beispiel mit den Behindertenbeauftragten aus?

Dr. Felicitas Pflichter: Was das Ministerium an Maßnahmen oder Richtlinien vorgibt, ist klar im Universitätsgesetz 2002 verankert, und zwar an zwei Stellen: Die Universitäten haben die Verpflichtung und die Aufgabe, für gesundheitlich beeinträchtigte Studierende zu sorgen, sie zu unterstützen, sie zu integrieren und die Prüfungsbedingungen an die Bedürfnisse der behinderten Studierenden anzupassen. Das sind zwei ganz klar festgelegte gesetzliche Verankerungen - und an diesen richtet sich auch das Ministerium aus. Das heißt in den Leistungsvereinbarungen zum Beispiel oder bei der Analyse der Entwicklungspläne wird bei diesen sogenannten gesellschaftlichen Zielen geschaut, was davon in welcher Form umgesetzt wird. Wir achten darauf, dass die Gesetze auch umgesetzt werden.

Freak-Radio: Wenn ich jetzt an der Universität nicht ganz sicher bin, ob ich etwas im einen oder im anderen Bereich bekomme, an wen könnte ich mich denn dann am besten wenden? Wenn ich eine Behinderung habe und mich jetzt erkundigen möchte, welche Möglichkeiten es an der Universität gibt, welche Möglichkeit es beim Studium gibt und ich gerade dabei bin zu studieren, an welche Stellen kann ich mich dann wenden, um zu erfahren, wie die Abläufe sind?

Dr. Felicitas Pflichter: Wenn ich mich dann für einen Studienort und ein Studium, ein Studienangebot entschieden habe, dann würde ich direkt an die jeweilige Institution gehen. Weil die ja die Rahmenbedingungen vor Ort besser kennen.

Freak-Radio: Die Institutionen wären die jeweiligen Stellen an der Universität, die dafür zuständig sind?

Dr. Felicitas Pflichter: Die meisten Universitäten haben sogenannte Behindertenbeauftragte. An der Universität Wien ist das zum Beispiel in den Studien Info Point , integriert, in Salzburg arbeitet man eng zusammen mit dem Blindenleseplatz, das findet zum Beispiel auch an der Technischen Universität Wien statt. Und an der Universität Linz gibt es keinen ausgewiesenen Beauftragten, aber das ganze Institut "Integriert Studieren" wäre dafür ein geeigneter Anlaufpunkt. Das würde ich, wenn ich Betroffener bin, zuerst machen.

Freak-Radio: Ich habe einen ganz konkreten Fall: Ich habe mit einer Kollegin gesprochen, die schwerhörig ist und an der Wirtschaftsuniversität studiert. Sie würde Lehrveranstaltungsräume mit Induktionsschleife benötigen (zum Beispiel große Hörsäle, wie das Audi max), die es ihr ermöglichen würden, dass sie eine Vorlesung im Hörgerät besser hören kann.

Dr. Felicitas Pflichter: Natürlich ist die Sensibilität oder die Bewusstseinsbildung noch nicht an allen Universitäten gleich hoch, das wird auch nie der Fall sein.

Eigenaktivität ist gefragt!

In diesem konkreten Fall würde ich mich entweder an die Studienvertretung wenden, oder direkt an den/die Lehrenden. Oft wissen die Lehrenden nicht, dass sie jemanden im Auditorium sitzen haben, der ein bestimmtes Bedürfnis hat.

Wenn ich das aber nicht vermittle, dann sollte ich mich nicht wundern, dass ich nicht unterstützt werde. Ich habe in den Fällen, in denen ich persönlich an den Universitäten war, mich erkundigt habe oder eine Veranstaltung vorbereitet habe, immer den Eindruck gehabt, dass Leute, wenn sie wissen, dass ein bestimmter Bedarf da ist, geholfen haben.

Freak-Radio: Das ist sicher ein wichtiger Punkt, dass man auch von sich aus eine gewisse Aktivität an den Tag legen sollte. Nur sollten die Studierenden mit Behinderung auch die Gewissheit haben, dass die Anliegen ernst genommen werden.
Jetzt eine andere Frage: Welche Schwerpunkte setzt denn das Ministerium gerade in dieser Thematik?

Dr. Felicitas Pflichter: Einerseits führen wir regelmäßige Studien, geben diese in Auftrag. Die sogenannte Spezialstudie, im Rahmen der Studierenden-Sozialerhebung alle vier Jahre, vom Jahr 2006 wird jetzt gerade abgenommen. Das ist für mich immer besonders befriedigend, wenn man aus so einer Fülle von Material präsentieren kann. Diese Studie wird im Rahmen eines ganztägigen Workshops im September der Öffentlichkeit präsentiert werden. Darüber hinaus beauftragen wir Projekte die zum Beispiel im Bereich "Neue Medien" Entwicklungen machen.
Ich möchte da nur zum Beispiel "Sign-it", das ist ein Gebärdensprachlexikon für gehörlose Studierende beziehungsweise überhaupt für Gehörlose, oder assistierende Technologien erwähnen. Das waren beides Projekte, für die neue Medien eingesetzt wurden und die bei der Weiterentwicklung unterstützt wurden. Das Multimedia Jus möchte ich nicht extra als für gesundheitlich Beeinträchtigte erwähnen, das ist für Studierende, die überhaupt berufstätig sind oder Pflegeverpflichtungen haben.

Freak-Radio: Ich würde gerne bei diesem Bereich "Neue Medien" bleiben, viele Universitäten haben sich diesen Schwerpunkt gesetzt. Wird da auch von vornherein darauf geachtet, gibt es dazu Richtlinien, dass das barrierefrei sein soll? Das könnte wahrscheinlich nach dem Gleichstellungsgesetz 2006 ja schon der Fall sein.

Dr. Felicitas Pflichter: Die neuen Medienprojekte, die speziell für gesundheitlich beeinträchtigte Studierende, für Sinnes-beeinträchtigte Studierende in Auftrag gegeben wurden, brauchen diesen Zusatz gar nicht, weil das von Wissenschaftern und Lehrenden gemacht wird, die das alles kennen. Aber Sie haben schon recht, dass die Barrierefreiheit für alle anderen neuen Medienprojekte erst langsam zur Selbstverständlichkeit wird. Da möchte ich nicht meine Hand ins Feuer legen, dass jedes Online-Angebot im Web barrierefrei ist.

Freak-Radio: Die neuen Medien sind zweifellos eine ganz wichtige Möglichkeit zur Barrierefreiheit an der Universität, das sieht man auch den Blindenleseplätzen.
Gibt es eigentlich Tendenzen oder Trends, die sich von Studierenden mit Behinderungen und chronischen Krankheiten abzeichnen?

Dr. Felicitas Pflichter: Erfreulicherweise steigen die Zugangszahlen. Das sehen sowohl in der Statistik der Studierenden die um eine Studienbeihilfe ansuchen, natürlich steigt auch die Zahl jener, die nicht unter der Definition des Bundessozialamtes liegen. Das sind die, die wir eben als gesundheitlich beeinträchtigt bezeichnen, wir sagen ja nicht Behinderte, weil dafür eben diese fünfzig Prozent Marke festgelegt ist. Die Zahl der gesundheitlich Beeinträchtigten steigt deshalb, weil auch in der Gesamtbevölkerung zum Beispiel die Allergiker enorm ansteigen und auch diejenigen, die Studienbeihilfe beantragen, die leicht steigen. Es muss ja einen Anstieg geben, obwohl ja da die soziale Bedürftigkeit auch noch geprüft wird, nicht nur der Grad der Behinderung.
Woran wir es auch noch sehen, ist, dass das Studienbeihilfengesetz anhand der Bedürfnisse der gesundheitlich beeinträchtigten Studierenden novelliert wird. Wie zum Beispiel: weil sie länger brauchen wird auch die Anspruchsdauer verlängert.

Freak-Radio: Noch eine letzte Frage: Kann man sich auch im Ministerium Informationen holen?

Dr. Felicitas Pflichter: Abgesehen von den Behindertenbeauftragten könnten an den einzelnen Universitäten auch noch die Studierendenanwaltschaft genannt werden, wo man sich Informationen holen kann - oder die Studieninformation im Ministerium.

Freak-Radio: Herzlichen Dank für das Interview.


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