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Freak-Radio und Freak-Verein
Eine einzigartige journalistische Plattform in Österreich
Seit 1997 sendet die Redaktion von Freak-Radio im Rahmen des ORF-Mittelwellenprogramms Radio 1476 (1) halbstündige Beiträge über die verschiedensten Aspekte von Behinderung und behinderten Menschen in allen Lebenslagen. In den ersten Jahren wurde noch im Zweiwochenrhytmus eine Sendung ausgestrahlt, seit mehr als zehn Jahren gibt es nun wöchentlich aktuelle Sendungen von Freak-Radio.
Das besondere dabei? Die Redaktion wurde von Vertreterinnen und Vertretern der Selbstbestimmt-Leben-Initiative gegründet. Das hat die Arbeit in der Redaktion maßgeblich beeinflusst.
»NICHTS ÜBER UNS OHNE UNS!«
Denn im Mittelpunkt der journalistischen Arbeit steht von Anfang an eine stimmige Information der Betroffenen unter dem Motto: »Nothing about us without us«, wie es die Selbstbestimmt-Leben-Initiativen auf der ganzen Welt fordern und zum Motto etwa des Jahres der behinderten Menschen 2003 gemacht haben. (2)
Behinderte und nichtbehinderte Kollegen haben in dieser integrativen Redaktion also von Anfang an darauf geachtet, dass die Sicht der Betroffenen immer ein Teil der jeweiligen Sendung ist. Ebenso war es der Redaktion ein Anliegen stimmige Bilder und Begriffe zu finden und gegen hartnäckige, nichtsdestotrotz seltsame Blüten im Alltagsjournalismus abzugehen: Bei Freak-Radio werden Rollstuhlbenutzerinnen nicht »an den Rollstuhl gefesselt« und sie »leiden« auch nicht an ihrer Behinderung oder gar an einer dubiosen »Krankheit«, die sie dann angeblich im Gegensatz zu den »Gesunden« stellen soll. Die Behinderungen werden klar definiert, die Rahmenbedingungen beschrieben – und es wird dabei nicht von einem medizinischen Modell der Behinderung ausgegangen, in dem Ärzte die Behinderung feststellen, sondern von einem sozialen Modell, das Menschen mit Behinderungen in ihrem sozialen Umfeld sieht und daher die Defizite nicht beim Menschen, sondern bei den fehlenden barrierefreien Rahmenbedingungen sucht. (3)
»Auch ich bin krank — wenn ich einen Schnupfen habe« formuliert das etwa Katharina Zabranksy, langjährige Mitarbeiterin von Freak-Radio und Vorsitzende von Freak-Verein, »ansonsten habe ich eine Behinderung«. Ebenso sensibel wurden in der Redaktion auch andere Begriffe thematisiert: Wenn etwa immer wieder zu lesen ist, dass jemand »trotz seiner Behinderung« die eine oder andere großartige Leistung fertig bringt, dann enthält dies ebenfalls eine subtile Diskriminierung: Das »trotz« deutet an, dass in der Behinderung ein Mangel liege — der jedoch mit der individuellen Leistung überhaupt nichts zu tun haben muss. So unterblieben solche Phrasen bei Freak-Radio. Mitunter, wenn es für das Verständnis notwendig ist, machen manche Leute tolle Leistungen »mit ihrer Behinderung«.
Andererseits wurden nach diesem sozialen Modell von Behinderung auch Sendungen über Analphabeten in Österreich oder psychischen Behinderungen gestaltet, eine Gruppe, die sonst kaum gehört wird. Auch Menschen mit Lernbehinderungen (4) kommen zu Wort.
So wurde bereits in den ersten Tagen in Konfrontation mit den Kollegen und Kolleginnen mit ihren verschiedenen Behinderungen gelernt (es gab Freak- Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Rollstuhl, mit chronischen Krankheiten, mit Sehbehinderungen oder auch ohne Behinderungen) und genauso lernte das Team von den Gesprächspartnern der verschiedenen Radiosendungen. Rasch wurde klar, dass jede Behinderung individuell und einzigartig ist und dass die Möglichkeiten im Alltag viel mit der persönlichen Lebensgeschichte, mit den Ermutigungen und Enttäuschungen zu tun hat und — wie sonst im Leben auch — sich nicht über einen Kamm scheren lässt. Doch die sozialen Behinderungen und sozialen Barrieren, die Schwierigkeiten im Zugang der für die meisten selbstverständlichen Bürgerrechte, die waren und sind für viele sehr ähnlich.
In den letzten zwölf Jahren hat es einige politische Fortschritte gegeben, wie etwa das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz. Dennoch werden Menschen mit Behinderungen tagtäglich mit Behinderungen und Barrieren konfrontiert — durch mangelnde Zugänglichkeiten, die von unnötigen Stufen bis zu unzugänglichen Online-Seiten reicht, oder durch Barrieren in den Köpfen der Umwelt, vielfach angetrieben durch irrationale Angst. Freak-Radio berichtet auch davon.
Was also Freak-Radio von Anfang an von vielen anderen Redaktionen in Österreich unterschieden hat, war die sensible Auseinandersetzung mit den Inhalten und der Sprache und der Einbezug der jeweils Betroffenen. Dabei haben Mitarbeiter mit und ohne Behinderung die durchaus unterschiedliche Situation von anderen behinderten Menschen kennen gelernt und auch ihre eigene Position immer genauer bestimmen können und diese Kompetenz in den Sendungen den Hörern vermittelt.
ALLER ANFANG IST SCHWER
In den ersten Jahren unter der Pionier-Chefredakteurin Mag. Dorothea Brozek wurde um den richtigen Ton richtiggehend gerungen: Auf eigenen Minidisk-Rekordern wurden die Aufnahmen erstellt — in einem der wenigen barrierefreien Studios Wiens, bei Radio Schöpfwerk — hatte Freak-Radio die Möglichkeit, die Moderationen zu sprechen und die Sendungen zu mischen — mechanisch auf Bändern. Eine journalistische Ausbildung hatten nur die wenigsten, erst recht nicht eine Einführung in den Radiojournalismus. So arbeiteten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nach ihren Vorbildern — von dem, was sie selbst am liebsten hörten: Magazine, Journalbeiträge oder Interviews. Auch die Musik war sehr vielfältig, die Moderationen experimentell: Vieles wurde ausprobiert: Bewährtes ausgebaut — anderes, auch nach Kritik der Redaktion oder der Dachredaktion von Radio 1476 oder auch manchmal der Hörer aus der Communitiy, verbessert oder verworfen.
Viele Stunden, oft bis in die Nacht hinein wurden gearbeitet, und das kleine Team von vier festen und weiteren fünf freien Mitarbeitern hatte alle Hände voll zu tun und stand manchmal kurz vor der Erschöpfung. Doch das Team hielt durch. Ein ständiger Kampf war anfangs auch die Herstellung einer störungsfreien Tonqualität: Das zeigte sich vor allem, als die Freak-Mitarbeiter auch in ORF-Studios mit Technikern die Möglichkeit bekamen, die Sendungen fertig zu stellen. Hier wurde rasch klar, dass es bestimmte Regeln im Haus gibt — und dass die Mitarbeiter von Freak-Radio diese nicht kennen: Mit Hilfe verständnisvoller Technikerinnen und Techniker gelang es rasch, einen höheren Grad an Professionalisierung zu erreichen.
Durch die hohe Fluktuation der Mitarbeiter und die ehrenamtliche Tätigkeit besteht dieses Problem bis heute. Mittlerweile haben aber mehr als zwei Drittel der Mitarbeiter eine fundierte journalistische Ausbildung. Und diese kann in den Redaktionssitzungen nun besser den neuen Kolleginnen und Kollegen vermittelt werden.
Damals hatte Freak-Radio durch die Mitarbeit des Radioprofis Hubert Wallner (5) einen ganz wichtigen Impuls erhalten: Er zeigte vor allem in den neu im ORF-KulturCafe eingeführten Live-Sendungen, was das Charisma eines Live-Moderators ausmacht. Viele Mitarbeiter haben sehr von seinem Vorbild profitiert. Andererseits half er auch durch gesponserte Schwerpunktsendungen, die sich mit »Multipler Sklerose« befassen sollte, die Palette der Sendungen zu erweitern und zusätzlich durch die Einnahmen das eine oder andere Aufnahmegerät oder Mikrophon für die mittlerweile angewachsene Redaktion anschaffen zu können.
Das Auftreten und auch die Themenpalette wurden bunter und breiter: So gab es eine Schwerpunktreihe über Selbsthilfegruppen in Österreich, Finanz-Tipps für behinderte Menschen, Lifestyle-Sendungen über Mode oder Flirten. Einen pointierten Fixpunkt gab der Leiter der Arbeitsgruppe »Behinderte Menschen und Medien« Dr. Franz Josef Huainigg mit seinen liebevollen und gleichzeitig bissigen Bemerkungen in der Glosse »Der Freak-Randstein«. Ebenso wurden immer wieder politische Themen aufgegriffen: die Situation der Fahrtendienste in Wien, die Barrierefreiheit der ÖBB, den Wert der Verfassungsbestimmung »Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden« oder der Einsatz von Langzeitarbeitslosen in der Betreuung von behinderten Menschen. Darüber wurde sogar ein Beitrag mit Ausschnitten der Sendung von Freak-Radio ins ORF-Mittagsjournal übernommen — ein erster wichtiger Schritt zur Wahrnehmung dieses innovativen heranwachsenden Teams.
Für die letztgenannten politischen Themen, aber ebenso für Livestyle- Sport- oder Kulturdiskussionen bot das ORF-KulturCafe eine neue Dimension: Zuhörer konnten zu Freak-Radio kommen und live mitdiskutieren. Freak-Radio wurde zu einem verlässlichen Partner im ORF-KulturCafe, das einen guten Rahmen für Politiker und Prominente bot, die immer wieder gern zu den Sendungen kamen. Mehr und mehr wurde der Aspekt einer Plattform sichtbar: Freak-Radio bot eine Begegnungsstätte,
wo nicht nur über aktuelle Themen diskutiert werden konnte, sondern wo man auch interessante Persönlichkeiten näher kennen lernen konnte – und die Freak-Mitarbeiter mit und ohne Behinderungen live sehen konnte. Langsam sprach sich im Haus herum, dass es im ORF auch Mitarbeiter mit Behinderungen gibt, die respektable Radiosendungen machten — auch wenn bis heute viele ORF-Mitarbeiter noch immer nicht wissen, dass es ein Radio mit behinderten Mitarbeitern gibt.
MIT BARRIEREFREIEN INNOVATIONEN IMPULSE SETZEN
Nach fünf Jahren Radioarbeit erweiterte das Team von Freak-Radio zunehmend das journalistische Feld und begann eine Reihe von Kooperationen. 2003 und 2004 steuerten die Mitarbeiterinnen für die Webseite der Integration Österreich »www.neuebilder.at« innovative Sujets mit einem neuen frischen Blick auf die Lebenswelten von behinderten Menschen bei, die ihren Weg bis auf die Info-Screens der Wiener U-Bahn fanden und so für alle zugänglich wurden.
Zunehmend wurde klar, dass das Medium »Radio« nicht für alle Zielgruppen barrierefrei zugänglich war. Für blinde Menschen ist Radio ein ideales Medium, und unter dem blinden Chefredakteur Walter Lindner arbeiteten zu diesem Zeitpunkt auch fünf blinde oder sehbehinderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Freak-Radio. Doch gehörlosen oder schwerhörigen Menschen war dieses Medium verwehrt. Auch Hörern mit Lernbehinderung sind nicht immer alle Inhalte zugänglich. (6)
Parallel mit der Dachredaktion von Radio1476, die als erste Redaktion die Möglichkeit des Webradios nutzte, entdeckte Freak-Radio die Möglichkeiten des Internet für eine barrierefreie innovative Kommunikation ohne Barrieren. Das »alte« Medium Radio, das ausschließlich einen Sinn, den Hörsinn, anspricht, kann mit dem Medium Internet zwei weitere Sinne ansprechen: Durch Transkriptionen wurden die Informationen nun auch für den Sehsinn und für den Tastsinn (Braille-Zeile für sehbehinderte User) zugänglich.
Die Initialzündung für eine eigene Homepage gab der junge sehbehinderte Mitarbeiter Jürgen Zauner (7), der die Voraussetzungen dafür schaffte, dass Freak-Radio eine begleitende Homepage, »Freak-Online«, eingerichtet hat. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Homepage waren bald Texte in einfacher Sprache. Mit Franz Hoffmann stand ein ausgewiesener Experte zur Verfügung, sodass Freak-Radio einfache Texte für Menschen mit Lernbehinderungen anbieten konnte und den Kreis der Interessierten um eine wichtige Zielgruppe erweitern konnte. Damals war es üblich, die Texte unter dem Namen »Easy to Read« auch in Österreich zu gebrauchen, was eigentlich der Regel (8), keine Fremdworte zu verwenden, widersprach. Freak-Radio prägte daher 2002/2003 den Begriff »Leichter lesen«, der sich heute mehr und mehr durchsetzt. Freak-Online hat jetzt bereits über 40 Radiosendungen in einfache Texte übersetzt ud laufend werden es mehr.
Mittlerweile sind die Freak-Leichter-Lesen-Mitarbeiter als Experten geschätzt und werden zu Vorträgen in ganz Österreich eingeladen. In einer Evaluation haben der Wiener Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell und Kristina Singer besonders auf die Wichtigkeit dieser Zielgruppe aufmerksam gemacht. (9) Denn die Nachfrage nach den »Leichter-Lesen«-Texten ist groß. In der Hitliste der (10) meist aufgerufenen Sendungen waren etwa 2007 monatlich 1-3 Leichter-Lesen-Texte dabei, obwohl diese bis dahin nur einen Anteil von 5 Prozent aller Texte hatten.
2004 wurde gemeinsam mit Bernhard Hruska ein neues Modell entwickelt: Es wurden einstündige Diskussionsveranstaltungen absolut live gesendet — und gleichzeitig im Internet transkribiert und sofort schriftlich zugänglich gemacht. Zusätzlich wurden im Internet auch Reaktionen gesammelt, die als Inputs in die Diskussion einflossen. Motto: »Diskussion gehört gelesen«. Damit wollte sich Freak- Radio weiteren Zielgruppen öffnen, was auch gelang.
2006 wurde diese Idee weiterentwickelt. Bei der Internet Privatstiftung Österreich überzeugte ein Projekt, das es ermöglichte, Radiosendungen im Internet zu hören und gleichzeitig mit Untertiteln zu lesen. Das Bestechende dabei: Die Nutzer benötigen kein zusätzliches Programm, auf der Seite »Radio mit UT« erscheint ein Player, mit dem sowohl das MP3 und gleichzeitig die Untertitel steuerbar sind. Jeder kann also nach vorne und zurückspringen wie bei jedem anderen Abspielgerät auch.
Untertitel und Texte laufen synchron. Technisch entwickelt wurde dies von Peter Sabitzer, der selbst eine Hörbehinderung hat. Über 30 Sendungen sind bisher auf diese Weise verfügbar. Der Vorteil: Mit diesem Player wissen die Leser etwa bei einer Diskussion im ORF-KulturCafe, wer gerade am Wort ist. Das ist beim Hören allein nicht immer möglich. Vor allem schwerhörige Nutzer können sowohl den akustischen Eindruck bekommen, als auch die volle Information durch die 1:1-Untertitelung. Ein solches Programm gab es so bisher international nicht – und Barrierefrei-Webexperten wie Markus Riesch oder Jan Eric Hellnbusch haben diese Innovation positiv gewürdigt.
Freak-Radio hat in den letzten Jahren auch die internationale Zusammenarbeit forciert: So wurden etwa Sendungen für »Radio Independent Living« in Schweden über Betreuungs- und Assistenzmodelle in Österreich übernommen.
In den letzten Jahren förderte das Bundessozialamt mehrere Projekte von Freak-Verein. Damit konnte sowohl eine Professionalisierung als auch eine Vernetzung erfolgen: In Projektsendungen arbeiteten Freak-Mitarbeiter gemeinsam mit erfahrenen Coaches von verschiedenen Abteilungen des ORF zusammen. Beide Seiten konnten voneinander lernen. Ebenso erfolgte auch eine Schulung durch die Weiterbildungsabteilung des ORF für die Freak-Mitarbeiter — im Gegenzug gab es jedoch auch Freak-Mitarbeiter als Experten, die ORF-Mitarbeiter für das Thema »Behinderung« sensibilisieren konnten. Verschiedene Sensibilisierungsveranstaltungen zu den Themen Barrierefreiheit, psychische Behinderungen, Lernbehinderungen und Zugänglichkeit in den Medien ergänzten die Vernetzung in einer breiten Öffentlichkeit.
Die aktuellste Innovation ist das Medium »Film«. Schon 2007 wurde eine DVD entwickelt, die einen Überblick über die vielfältige Arbeit von Freak-Radio gab. Seit 2008 gibt es im Rahmen des Projekts »Best Practice International« auch ein neues Ressort auf Freak-Online, das VideoClips speziell für gehörlose User zugänglich macht und ihnen ein optimales Medium bietet. Diese Schiene wurde von Jo Spelbrink und Julia Wolkerstorfer gestaltet und soll in den nächsten Jahren noch ausgebaut werden.
FREAK-RADIO UND FREAK-ONLINE: EINE INTEGRATIVE PLATTFORM
In Österreich gibt es derzeit kaum Journalisten mit Behinderung. Denn die Zugänge sind sowohl in der Ausbildung als auch in den Redaktionen für behinderte Menschen schwierig. Das hat sich zwar in den letzten Jahren durch integrative Ausbildungen geändert. Fuß fassen konnten Menschen mit Behinderungen im Journalismus bisher jedoch – im Unterschied zu anderen Ländern wie Großbritannien oder den USA und Nordeuropa jedoch nicht.
Oft sind es jedoch Phantasmen der Hilfsbedürftigkeit, die verschiedene Medien über behinderte Menschen immer wieder vermitteln, die den Zugang zu genau diesen Medien erschweren.
Der Innsbrucker Erziehungswissenschaftler und Rollstuhlbenutzer Volker Schönwiese formuliert es so: »Medial-industriell gebildetes Wissen greift vorhandenes gesellschaftliches Wissen und die vorhandenen Phantasmen auf und verstärkt sie. Ein Mittel dazu ist die Produktion von Mythen, wie sie Roland Barthes in seiner Semiologie (Barthes 2000) beschrieben hat. So eindeutig die Symbolik dieser Mythen alltäglich erscheinen mag (z.B. Rollstuhl ist Leiden), behinderte Menschen bleiben in diesem Produktionsprozess in einer notwendigen Position der Unbekanntheit und Unvollkommenheit, sind immer in einer bemerkenswerten Überhöhung auf Transformation angewiesen.« (10)
Auch der Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell hat dies in einer Freak-Radio-Sendung zum Thema »Wege zur Arbeit« deutlich angesprochen: »Ein Bild von Bedürftigkeit, von Mitleid und das ist eigentlich etwas, das in vielen Branchen den Blick darauf verstellt, was Menschen mit Behinderung können. Es gibt eine auf den ersten Blick fragwürdige Studie aus den USA, die aber genau das ausdrückt: Mitte der 1980er-Jahre hat dort ein Kommunikationswissenschaftler in einem Experiment nachgewiesen, dass Menschen mit Behinderung die Kerntätigkeiten des Journalismus genauso gut können wie Menschen ohne Behinderung. Eigentlich brauchen wir das nicht untersuchen. Aber auf der anderen ist es Mitte der 1980er Jahre offensichtlich notwendig gewesen, selbst in den USA, obwohl diese fünf Jahre später ein Antidiskriminierungsgesetz beschlossen haben [...]. Wir in Mitteleuropa haben diese Entwicklungen noch später gemacht, oder zum Teil eigentlich noch nicht gemacht. [...] Das ist ein Bereich, in dem visuell wird, wie Menschen arbeiten — und es ist ein sehr attraktiver Bereich [...]« (11)
Die Plattform von Freak-Radio und Freak-Online hat nun eine fast 12-jährige kontinuierliche Tradition entwickelt, wie integrativ über verschiedene Themen, die sich mit Behinderung befassen, berichtet werden kann. Über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben bereits in dieser Redaktion mitgearbeitet und wurden in zweierlei Hinsicht sensibilisiert: Einerseits zu einem adäquaten sprachlichen und sachlichen Umgang mit dem Thema unter Einbezug der Betroffenen und andererseits durch ein ständig wachsendes Know-How nicht nur im Radiojournalismus, sondern über die Techniken eines »barrierefreien Journalismus«. So ist Freak-Radio heute fast umfassend für die meisten Zielgruppen verfügbar. Behinderte Menschen haben in dieser Redaktion zudem wichtige Kompetenzen für ihre berufliche Qualifikation gelernt, nicht nur im Radio, sondern auch in Formulierung von Online-Artikeln in der Rubrik Freak-aktuell, in der barrierefreien Gestaltung einer Website oder dem
Umgang mit audiovisuellen Medien.
Der ORF hat für das Radio Infrastruktur zur Verfügung gestellt. Die journalistische Gestaltung der Radiosendungen ist jedoch unbezahlt. Mit innovativen Projekten, die durch das Bundessozialamt und andere Träger gefördert wurden, konnte Freak-Verein in den letzten Jahren trotzdem Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen schaffen. Die umfassende Berichterstattung über die verschiedensten Aspekte von Behinderung unter Einbezug einer sehr großen Gruppe verschiedenster Behinderungen, gepaart mit großen Anstrengungen der Forcierung einer umfassenden Zugänglichkeit haben die ursprüngliche Radioredaktion verändert.
Andererseits wurden sehr rasch die verschiedenen Zugangsmöglichkeiten »für alle« im Internet genutzt. So hat sich mit den Jahren Freak-Radio und Freak-Online zu einer einzigartigen Plattform in Österreich entwickelt, die verschiedenen Menschen zu verschiedenen Aspekten des Lebens mit Behinderung Zugang bietet und eine Kontaktaufnahme mit Politikern, Künstlern, Meinungsträgern, Ministerialbeamten, Firmen oder Interessensvertretern ermöglicht hat. Aus der Arbeit sind daher nach innen und nach außen zahlreiche Impulse für ein besseres Verständnis und bessere Rahmenbedingungen für behinderte Menschen ausgegangen.
ANMERKUNGEN:
1 ab 1.1.2008 wird dieses als Ö1 Campus auf ein Internetradio umgestellt.
2 In diesem Zusammenhang entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass der ORF eine massiv geförderte Kampagne 2003 über behinderte Menschen in Fernsehen und Radio schaltete. Jene einzige Redaktion im Haus, die unentgeltlich und integrativ bereits ein beachtliches Know-How zu diesem Thema erarbeitet hat, wurde in diesen TV- und Radiospots weder erwähnt noch einbezogen.
3 Vgl. etwa die Ausführungen von Anja Tervooren über die Disability Studies in den USA, die sich bereits in den frühen 80er-Jahre mit dieser Problematik auseinandersetzten und dieses Phänomengenau untersucht und beschrieben haben:
Anja Tervooren (2003): Den Diskurs anreizen. Erst eine kulturhistorisch inspirierte Forschung könnte die Komplexität des Phänomens Behinderung erfassen. In: Der Tagesspiegel, 10.3.2002; Sonderbeilage »Der (im-)perfekte Mensch«; (=bidok – Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet: bidok.uibk.ac.at/library/tervooren-differenz.rtf.html Stand: 28.12.2008); S. 2Lisa Waddington weist darauf hin, dass diesem medizinischen Modell zudem die Therapierbarkeit in der Verantwortung von Ärzten und Wissenschaftlern und der Ausschluss von genormten Institutionen zur Folge hatte, was sich insbesondere durch Zugangsbeschränkungen zu Berufen äußerte. Erst Gleichstellungsgesetze, beginnend mit dem Americans with Disabilities Act 1990 führten zu mehrChancengleichheit und Lebensqualität für behinderte Menschen:
Lisa Waddington (2006): Equal Opportunities for Persons with Disabilities. In: 50 Jahre ÖKSA. Zwischen Vision und Wirklichkeit. Die Zukunft des sozialen Zusammenhalts in Europa. Dokumentationder Jahreskonferenz 2006 – Wien; S. 66-69
4 Der Ausdruck »geistige Behinderung« wird von den Betroffenen mit Recht abgelehnt, denn viele Menschen dieser Zielgruppe können sehr wohl vieles lernen, das ihnen die Umwelt nicht zugetraut hat. Sie brauchen zum Lernen allerdings etwas länger.
5 Hubert Wallner war im ORF einer der legendären Moderatoren der Sendung »Autofahrer unterwegs«. Er arbeitete später im Landesstudio Niederösterreich.
6 vgl.: Gerhard Wagner (2004): Radio barrierefrei. Die Zugänglichkeit des Mediums Radio für Menschen mit verschiedenen Behinderungen und die Verschmelzung zu einem neuen Medium. (=http://didaktik-on.net/cgi-bin/didaktik.cgi?id=0000025, Stand: 28.12.2008)
7 Jürgen Zauner gestaltete Sendungen mit Schwerpunkten für blinde Hörer. Er wirkte als Experte in Sendungen zum »Dialog im Dunklen« und über das Massageangebot im Haus des Auges. Im April 2006 ist Jürgen Zauner durch einen tragischen Unfall tödlich verunglückt.
8 Vgl.: Franz Hoffmann/Christine Stampfer (2003): Easy to read - Leicht(er) Lesen. In:
Medienimpulse. Beiträge zur Medienpädagogik Nr. 43 - Wien. S. 44-47
9 Fritz Hausjell /Kristina Singer (2008): Evaluation der Nutzung des Online-Angebotes von www.freak-radio.at und www.freak-online.at auf Basis der internen Statistiken von »Freak-Online« für den Zeitraum April 2004 bis November 2007. Ungedr. Publikation - Wien; S. 9
10 Volker Schönwiese (2008): Über die Schwierigkeit, Behinderung zu verstehen. Dankesrede bei der IMEW-Preisverleihung (=bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet: bidok.uibk.ac.at/library/schoenwiese-dankesrede.html, Stand: 28.12.2008)ausführlicher zu dieser Problematik in:
Volker Schönwiese (2007): Vom transformatorischen Blick zur Selbstdarstellung. Über die Schwierigkeit der Entwicklung von Beurteilungskategorien zur Darstellung von behinderten Menschen in Medien. In: Flieger, Petra/ Schönwiese, Volker (Hg.): Das Bildnis eines behinderten Mannes. Wissenschaftlicher Sammelband. Bildkultur der Behinderung vom 16. Bis ins 21. Jahrhundert - Neu-
Ulm; S. 43-64
11 Wege zur Arbeit. (Transkription im Ressort »Lesen statt Hören« einer Freak-Radiosendung, ausgestrahlt am 16.12.2007, 20.30-21.00h im ORF-Mittelwellenprogramm Radio 1476 (= www.freak-online.at/Aktuell-Detail.183+M576573270b0.0.html; ,Stand: 28.12.2008)