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Rubrik: Lesen statt Hören
15. Januar 2006

FREAK-COLLAGE

von Julia Wolkerstorfer

Maria Bruckmüller: Selbstverständlich ist aber, dass menschliche Grundbedürfnisse allen Menschen ? und nicht nur ? zustehen ? sondern auch von ihnen selbst eingefordert werden. Hier gibt es drei Bereiche, deren Befriedigung zunächst in den Hintergrund gedrängt wurde, nun aber mit Vehemenz eingefordert wird: Das sind Geschlechtlichkeit, Beziehung und Partnerschaft und das individuell gesicherte Wohnen. Entgegen den noch vor 50 Jahren geäußerten Meinungen zur Geschlechtslosigkeit bzw. Bedeutungslosigkeit sexuellen Lebens für geistig behinderte Menschen wurden mit zunehmendem Lebensalter und integrierter Lebensführung entsprechende Wünsche angesprochen. Und hier kam es fast schlagartig zu Auseinandersetzungen zwischen Eltern, Medizinern, Pädagogen, Außenstehenden und betroffenen Personen. Diese Auseinandersetzungen überschritten nicht selten das Maß geregelter Konfliktlösung. Die Ablehnung geschlechtsbezogener Lebensvorstellungen von Partnerschaften und die Beschäftigung mit sexueller Problematik wurde verwendet und verwendete als Begründung die Notwendigkeit einer angeblichen notwendigen Segregation mit scheinbar unüberbrückbaren Hindernissen, wie mangelnde Verantwortungsfähigkeit, fehlendes Verständnis, ungewollte Schwangerschaften, Unfähigkeit zur Erziehung von Kindern und so weiter. Natürlich standen hinter diesen Ansichten auch überlegenswerte Gesichtspunkte. Aber die Schärfe der Auseinandersetzung zeigte, dass hinter den angeführten Gründen noch andere Gefühle steckten: Machtverlust, fehlende Anerkennung des behinderten Menschen als gleichwertigen Partner, Angst vor allgemein gültigen Menschenrechten.

Ernst Berger: Der Fortschritt ist eine Schnecke.

Theresia Haidlmayr: Und das neue Behindertengleichstellungsgesetz wird Ihnen in dieser Richtung auch nichts bringen ? ich sage es Ihnen so wie es ist. Weil, es gibt zwar jetzt die Möglichkeit, dass man nicht mehr belästigt werden darf. Aber es gibt im Behindertengleichstellungsgesetz keine Grundlage dafür, dass Diskriminierungen beseitigt und unterlassen werden müssen. Das gibt es nicht. Und solange es diese zwei wesentlichen Punkte nicht gibt wird das Ganze nichts bringen. Und solange es nicht die Beweislastumkehr gibt, wird´s auch nichts bringen. Und dieses Gesetz...Heute wurde gesagt: "Das ist ein Weg." Ein "Weg" ist alles, auch wenn es in die Hose geht. Und das ist in die Hose gegangen.

Ernst Berger: Der Fortschritt ist eine Schnecke.

Publikumsmeldung: Ich möchte beim Blick in die Zukunft insbesondere an die Politik, an die Medizin, aber auch an die Interessensvertretungen appellieren, hier zu versuchen, in der Sprache eine Wortwahl zu finden, dass diese Gesellschaft in der Lage ist, die von ihr geforderten Pflichten ? denn wenn wir Recht fordern, dann erwarten wir ja auf der anderen Seite Pflichten, die erfüllt werden ? dass wir hier diese Gesellschaft auch nicht überfordern. Und gerade eine Gesellschaft, die heute sehr stark von sogenannten ICH-AGs bestimmt wird, eine Gesellschaft, die sehr stark Ich-süchtige Vorteilsnährung für sich in Anspruch nimmt ? ein Ausdruck, den Ulrich Kreiner in der ZEIT vor kurzem geprägt hat ? in dieser Gesellschaft erwarten wir Rücksichtnahme, erwarten wir ein anderes Denken. Und ich appelliere insbesondere an die Politik, aber an alle gesellschaftlichen Gruppen, in der Wortwahl dieser Gesellschaft möglich zu machen, diesen Weg in ein fortschrittliches Miteinander offen zu halten, breiter zu gestalten, um so Wünsche, Vorstellungen, Visionen, die wir haben und die vielleicht in den 50er Jahren als utopisch erschienen sind, wenn wir den heutigen Ist-Stand anschauen, dass wir vielleicht Visionen, die wir heute als utopisch sehen, dann vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren auch erreichen können. Danke.


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