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Rubrik: Lesen statt Hören
19. Mai 2022

Folge 52: "Nicht an den Rollstuhl gefesselt!" Über die mediale Darstellung von Menschen mit Behinderung

von Redaktion

„Die Sprache ist die Kleidung der Gedanken“, soll einst der englische Gelehrte Samuel Johnson gesagt haben. Diesem Zitat kann Manfred Fischer einiges abgewinnen. „Wie ich über jemand spreche, zeugt davon, was ich von einem Menschen, oder einer Gruppe denke“, so der Oberösterreicher. Der 59-jährige ist freier Journalist und Sensibilisierungstrainer und verwendet einen Rollstuhl. Wenn es eine Formulierung gibt, die er nicht mehr lesen oder hören kann, dann ist das: an den Rollstuhl gefesselt. Wie er seinen Alltag als Journalist im Rollstuhl beschreibt, welche No-Goes es für ihn in Bezug auf Wortwahl und Bildsprache gibt und was er sich in Bezug auf Inklusion wünscht: Darum geht es im folgenden Beitrag von Victor Strauch.

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Sandra Knopp: Willkommen, sagt Sandra Knopp. „Die Sprache ist die Kleidung der Gedanken“ soll einst der englische Gelehrte Samuel Johnson gesagt haben. Diesem Zitat kann Manfred Fischer einiges abgewinnen. „Wie ich über jemand spreche, zeugt davon, was ich von einem Menschen oder einer  Gruppe denke“, so der Oberösterreicher. Der 59-jährige ist freier Journalist und Sensibilisierungstrainer und verwendet einen Rollstuhl. Wenn es eine Formulierung gibt, die er nicht mehr lesen oder hören kann, dann ist das „an den Rollstuhl gefesselt“. Wie er seinen Alltag als Journalist im  Rollstuhl beschreibt, welche No-Goes es für ihn in Bezug auf Wortwahl und Bildsprache gibt und was er sich in Bezug auf Inklusion wünscht - darum geht es im folgenden Beitrag von Victor Strauch.  '

Victor Strauch: Unser Gast ist der oberösterreichische Journalist und Sensibilisierungstrainer Manfred Fischer. Als freier Journalist schreibt er für verschiedene Magazine und Online-Medien in Österreich und Deutschland, darunter die regionale Wochenzeitung „Braunauer Warte“, die zu den Oberösterreichischen Nachrichten gehört. Als Sensibilisierungstrainer veranstaltet er Workshops zum Thema „Lebensrealität von Menschen mit Behinderung“. Dort schult er unter anderem Zugbegleiter:innen und Omnibusfahrer:innen. Auch Journalist:innen sensibilisiert er für die richtige Wortwahl beim Berichten über Menschen mit Behinderung. Die Worte und Formulierungen, die man verwendet, seien besonders wichtig, denn:

Manfred Fischer:  Es ist meine Meinung, dass eigentlich die Sprache die Verkleidung der Gedanken ist. Wie ich über  jemanden spreche, welche Worte ich verwende, das zeugt im Hintergrund davon, was ich von dem Menschen, von einer Gruppe denke.

Victor Strauch: Vor 30 Jahren wurde bei Manfred Fischer eine neurologische Erkrankung festgestellt. Dabei werden seine Nerven im Rückenmark zunehmend geschädigt. Er konnte seine Beine immer weniger kontrolliert bewegen. Zunächst ging er mit Krücken, seit 2002 verwendet er einen Rollstuhl. Eingeschränkt fühlt er sich von diesem nicht, im Gegenteil.

Manfred Fischer: Vor 2002 bin ich mit zwei Krücken gegangen. Es war alles für mich sehr sehr anstrengend. Zum Beispiel Zeitung holen im Hof bei unserem Haus war schwierig. Mit den zwei Krücken war das anstrengend, hat lange gedauert. Mit dem Rollstuhl hab ich wieder sehr viel an Mobilität zurückgewonnen, gleichzeitig auch mit einem angepassten Auto. Und damit war ich eigentlich wieder voll im Leben.

Victor Strauch: Die Formulierung “an den Rollstuhl gefesselt” ist für den 59-Jährigen daher ein absolutes No-Go. Immer wieder sei das in den Medien zu lesen, wobei Fischer zwischen Boulevard- und Qualitätsmedien unterscheidet. Letztere würden sich sehr bemühen, angemessen über Menschen mit Behinderung zu berichten und auf die richtige Wortwahl zu achten. In Boulevardmedien komme es aber immer noch zur Verbreitung überwunden geglaubter Klischees, wie dem des leidenden, bedauernswerten Menschen mit Behinderung. Formulierungen wie “an den Rollstuhl gefesselt” reproduzieren diese Klischees.  An der Wirklichkeit gehen sie vorbei.

Manfred Fischer: Viele Menschen, die leiden nicht an ihrer Behinderung, die hams einfach und leben damit. Ich lebe mit meiner Einschränkung als Rollstuhlfahrer, ich leide aber nicht darunter. Leiden tu ich eher unter Architekten, die nicht barrierefrei planen. Wenn ich dann vor vielen Stufen stehe, dann leide ich darunter, aber sonst ist das kein Leiden.

Victor Strauch: Trotzdem werden Menschen mit Behinderung von einigen Menschen immer noch als Leidende wahrgenommen, die es zu bedauern gilt.

Manfred Fischer: Es gibt Menschen, die fragen einen im Rollstuhl, als Rollstuhlfahrer. so mitleidig: “Jo wie geht’s da denn?” Und da kriegt man dann fast ein schlechtes Gewissen, wenn man denen nicht sagt, wie schlimm denn das nicht ist im Rollstuhl und was es da nicht für Probleme gibt.

Victor Strauch: Ein anderes Klischee, das ihm in seiner journalistischen Praxis oft unterkommt, ist das des Helden oder der Heldin. Beispielsweise werden in Bezug auf die Paralympics oder den normalen Alltag Menschen mit Behinderung zu Helden stilisiert. Dabei spielt das Wort “trotz” eine entscheidende Rolle.

Manfred Fischer: „Dass jemand trotz seiner Behinderung einkaufen geht“, das hab ich ein paar Mal erlebt. Wenn eben dann beschrieben wird, dann heißt’s eben, “trotz seiner Behinderung geht Manfred Fischer ins Geschäft einkaufen”. Ich sag da was heißt trotz? Ich mach das, das ist einfach eine Notwendigkeit. Wenn ich nicht einkaufen geh, dann ist der Kühlschrank leer.

Victor Strauch: Wichtig sei auch die Sensibilität in Bezug auf die Bebilderung und die Bildunterschriften. Auch hierbei kommt es oft zur Verbreitung von Klischees – behinderte Menschen werden dabei oft als unselbständig und hilfsbedürftig dargestellt. So würden Menschen im Rollstuhl gezeigt, die geschoben werden, blinde Menschen dagegen häufig eingehängt im Arm eines anderen Menschen. Dass solche Bilder Verwendung finden, liege auch daran, dass Bildagenturen „Fake“-Bilder verbreiten würden: Bilder, die schnell produziert und teuer verkauft werden, indem Menschen ohne Behinderung kurzerhand so tun,  als seien sie behindert und sich dabei fotografieren lassen.

Manfred Fischer: Man merkt oft auch bei der journalistischen Bebilderung, es gibt da jetzt irgendeinen Artikel zum Thema Behinderung und dann braucht man halt einen Rollstuhlfahrer, ist man der Meinung. Und dann setzt man halt jemanden aus der Redaktion in einen Rollstuhl, den man irgendwo aufgetrieben hat. Aber allein wie diese Menschen drinnen sitzen, wie der Rollstuhl angepasst ist an den Körper, erkennt ein realer Mensch im Rollstuhl gleich, dass das oft ein Fake ist.

Victor Strauch: Damit Menschen mit Behinderung in den Medien angemessen dargestellt werden, wünscht sich Manfred Fischer mehr behinderte  Menschen in den Redaktionen. So würde auf ganz direkte Weise mehr Bewusstsein in der Medienbranche für die Lebensrealität von Menschen mit Behinderung geschaffen werden. Damit einhergehen solle auch eine bessere Repräsentation in den Medienbeiträgen selbst. 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung in Österreich haben eine Form von Behinderung. In den Medien kommen sie aber vor allem dann vor, wenn es explizit um soziale oder, wie Fischer sagt, “behinderte Themen” geht. Bei der Berichterstattung über Themen, die alle, auch behinderte Menschen, betreffen, würden sie hingegen ausgespart.

Manfred Fischer: Ich hab zum Beispiel bei meinen Beispielbildern das Foto eines Mannes, der im Rollstuhl sein Auto tankt. Und da wär‘s einfach einmal toll, wenn man irgendwas hat zu Spritpreiserhöhung oder zu den Energiepreisen, wenn man so ein Bild reinnimmt. Warum?  Weil auch als behinderter Autofahrer mit einem umgebauten Auto muss ich genauso tanken.

Victor Strauch: Die Folge dieser fehlenden Repräsentation sei, dass Menschen mit Behinderung zu wenig wahrgenommen werden und man ihre Anliegen nicht sieht. Bei der Planung von öffentlichen oder gewerblichen Gebäuden werde dann häufig auf sie vergessen. Auf barrierefreie Zugänge wird verzichtet, weil man annimmt, behinderte Menschen würden ohnehin nicht kommen.

Manfred Fischer: Grad auch oft bei Gastbetrieben: “Es kumt jo eh kana.” Ich sag dann immer zu den Leuten, ja was glaubenS‘, warum in ihr Gasthaus keiner kommt in einem Rollstuhl, wenn ich fünf Stufen hab und nicht problemlos hineinkomm.

Victor Strauch: Österreich stehe bei der Inklusion behinderter Menschen noch relativ am Anfang. In Ländern wie Großbritannien habe diese Entwicklung schon vor 30 Jahren eingesetzt. In den vergangenen Jahren habe sich aber auch hierzulande einiges getan. Für Manfred Fischer ist jedenfalls klar, wie es weitergehen soll.

Manfred Fischer: Meine Wünsche wären, dass in vielen Redaktionen, wenn nicht in allen Redaktionen, genauso behinderte Journalisten arbeiten, dass die auch dort vorhanden sind, und dass auch dann behinderte Journalisten nicht nur über die sogenannten “behinderten Themen” berichten, sondern auch beim Wald- und Wiesenjournalismus dabei sind, im lokalen Bereich, zum Beispiel über Ausstellungen, über Feuerwehrfeste und solche Sachen. Dass also behinderte Menschen viel mehr integriert sind in den täglichen Ablauf und auch in das tägliche Redaktionsgeschehen.

Victor Strauch: Ein guter Ausblick für die Zukunft! Manfred Fischer ist Lehrbeauftragter der Fachhochschule der Wirtschaftskammer in Wien, Vortragender beim Kuratorium für Journalistenausbildung in Salzburg und Sensibilisierungstrainer zum Thema „Leben von Menschen mit Behinderung“. Seine Texte erscheinen unter anderem in der regionalen Wochenzeitung “Braunauer Warte” für die Oberösterreichischen Nachrichten.

Sandra Knopp: Das war Freakcasters für heute. Wenn Ihnen dieser Podcast gefallen hat, abonnieren Sie uns doch auf einer der gängigen Plattformen Google Podcasts, iTunes oder Spotify. Und empfehlen Sie uns bitte weiter. Wer uns einen Themenvorschlag schicken möchte, gerne via E-Mail an: freakcasters@gmx.at

Auf Wiederhören und bis zum nächsten Mal, sagt Sandra Knopp.


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