Seitenanfang:

Link zum InhaltLink zum MenüLink zur Suche

Inhalt:

Rubrik: Freak Aktuell
28. Oktober 2016

Die konstruierte ewige Jugend - Ansichten einer Rollstuhlfahrerin

von Katharina Müllebner

Was ist Jugend? Eine Lebensphase, ein erstrebenswertes Ziel oder ein zu überwindendes Lebensstadium der Unfertigkeit und des Dazwischensein? Und welche Auswirkungen hat eine Behinderung auf die Jugend?

Zu Beginn dieser Betrachtungen möchte ich ein Situationsbeispiel bringen: Ich, damals etwa um die 20 Jahre alt, Studentin und Rollstuhlfahrerin, bin in meiner Wohngegend unterwegs, plötzlich höre ich ein überfreundliches, süßliches „Zwitschern“. Eine Dame ruft mir zu: „Hallo du, wie geht es dir denn in der Schule? Ich habe einen neuen Hund“, sie zeigt auf ihren Yorkshire Terrier, der sich die Seele aus dem Leib bellt, „Willst du deiner Mami erzählen, dass ich einen neuen Hund habe?“ Nein, denk ich mir, will ich nicht. Ich bin verärgert und weiß nicht, was ich sagen soll.

Diese Situation ist symptomatisch für ein wiederkehrendes Phänomen, das ich die konstruierte ewige Jugend nenne. Oft wurde ich nicht altersgemäß eingeschätzt. Menschen legen ein überfreundliches, unwirklich erscheinendes Verhalten an den Tag, wenn sie sich überhaupt trauen, mich anzusprechen. Dieses Verhalten entspringt, meiner Einschätzung nach, aus einer Unsicherheit. Ob es wirklich nur an der Behinderung liegt, dass manche Leute mit einem reden als wäre man noch ein Kind, das kann ich nicht mit 100%iger Sicherheit sagen. Dennoch, die Behinderung spielt sicherlich eine Rolle. Sie ist eine sehr wirkmächtige Kategorie, die für manche Leute alle anderen Kategorien, wie zum Beispiel Lebensalter oder Geschlecht, in den Hintergrund drängt.

Aber das ist nicht das Einzige, was zu einem Zustand konstruierter ewiger Jugend führen kann. Generell muss man sagen, dass heute die Lebensphase der Jugend viel, viel länger dauert, als noch vor 20 oder 30 Jahren, bedingt durch die langen Ausbildungswege und die damit verbundene, längere Abhängigkeit von den Eltern. Diese Abhängigkeit von den Eltern ist bei Menschen mit Behinderungen noch größer. Während meine Mutter schon mit 20 Jahren von Deutschland nach Österreich kam, bin ich erst mit 27 Jahren in meine eigene Wohnung gezogen. Die eigene Wohnung war direkt neben meinen Eltern, sodass ich zur Sicherheit noch auf ihre Unterstützung zurückgreifen konnte. Trotzdem brachte dieser Auszug einen enormen Schub in Richtung eines Gefühls des tatsächlichen Erwachsenseins.

Durch das Gefühl die Baumeisterin meines eigenen Lebens zu sein, stellte sich bei mir das Gefühl ein, vom Stadium der Jugend in ein Erwachsenenstadium hinüberzutreten. Tatsächlich stellten sich mit dem Auszug und mit der gewonnenen Selbstständigkeit auch andere Marker fürs erwachsen sein ein. Ich ging öfter abends aus, bekam einen Job, und war selbst Chefin meiner Assistentinnen. Kurz gesagt, mehr Verantwortung, mehr Eigenständigkeit. Aber war meine Jugend damit tatsächlich schon zu Ende? Eine Freakradio-Sendung zu diesem Thema machte mich sehr nachdenklich. Ein dort anwesender Jugendforscher brachte dort das Beispiel eines Kollegen, der einen Kaputzenpulli trägt, dies sei nicht mehr altersgemäß. Ich dachte mir dann, wenn das schon nicht mehr altersgemäß ist, was soll dann jemand wie ich sagen, der Plüschtiere sammelt? Heutzutage ist das Argument mit dem altersgemäßen Verhalten schon schwieriger. Natürlich gibt es heutzutage immer noch einen Verhaltenskodex für Erwachsene, aber dieser ist lange nicht mehr so stark wie früher. Auch deshalb nicht, weil es durchaus als schick gilt, ein bisschen jugendlich zu sein.

Was mein eigenes Leben anlangt, stellte ich eine seltsame Umkehrung fest. Als Jugendlicher versuchte ich mich eine Zeit lang fast schon zwanghaft erwachsen zu geben. Ich war ziemlich konservativ, überhöflich, hörte klassische Musik, versuchte mich von dem abzugrenzen, was andere in meinem Alter getan haben. Ich bewegte mich damals noch in einer Clique, die man als konservativ-intellektuelle Nerds bezeichnen könnte. Erst mit Anfang 20 lockerte sich diese Haltung, ich trat sozusagen in eine Art verspätete Pubertät ein. Noch heute mache ich mir Gedanken, woran das gelegen haben könnte. Wollte ich, mit meinem erwachsenen Verhalten etwas kompensieren? Hatte ich vielleicht das Gefühl, mich so verhalten zu müssen? Oder war das vielleicht eine verquere Art der jugendlichen Revolution, sich von anderen Jugendlichen abzugrenzen? Immerhin ist der Nerd, in den 80er und 90er Jahren noch verlacht, durch Big Bang Theory populär geworden. Aber ich möchte diese Phase gar nicht bewerten, denn wie Jugendliche sind, so sind sie nun mal. Auch wenn es wiederkehrende Verhaltensmuster bei Jugendlichen gibt, so kann man keinesfalls von den Jugendlichen sprechen, denn jeder Mensch ist anders.

Der Freundeskreis

Mein Freundeskreis bestand, schon wegen der Integration ab der Volksschule, hauptsächlich aus Menschen ohne Behinderung. Kontakt zu anderen Peers habe ich erst im Studium bekommen. In meiner Clique spielte die Behinderung kaum eine Rolle. Das heißt natürlich nicht, dass ich nie Diskrimierierungs- und Ausschlußerfahrungen gemacht habe. Aber den größten Teil meiner Jugend fühlte ich mich eigentlich mehr oder weniger zugehörig.

Ab dem Gymnasium war ich der einzige Mensch mit Behinderung im Klassenverband. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir das viel ausgemacht hätte. Ich fand es, auf eine gewisse Weise, sogar angenehm. Ausgrenzungserfahrungen dachte ich mir, die hat ja jeder einmal. Wie gesagt, bekam ich erst mit dem Studium Kontakt zu anderen Rollstuhlfahrern und Rollstuhlfahrerinnen. Dieser Kontakt führte dazu, dass ich meine Behinderung neu bewertete. Ich hatte jetzt nicht mehr das Gefühl sie kompensieren zu müssen, meine Behinderung machte mich quasi zum Teil eines kulturellen Milieus. Ich konnte sie dadurch im positiven Sinne ins Licht meiner Aufmerksamkeit rücken.

Früher empfand ich es als demütigend, jünger eingeschätzt zuwerden als ich tatsächlich war. Heute gefällt es mir manchmal recht gut. Es gefällt mir gut, die Jüngste im Büro zu sein. Ich bin Anfang 30 und denke mit Schaudern an meinen körperlichen Alterungsprozess. Woher kommt dieser Drang, frage ich mich? Ist es wirklich nur etwas oberflächliches Äußerliches, das uns nach Jugend lechzen lässt, oder ist es mehr?

Ich glaube, dass es mehr ist. Natürlich spielt das Äußere eine große Rolle. Immer noch ist der Großteil der Models 16 Jahre alt. Aber da gibt es noch etwas anderes, was eine Rolle spielt. Dieses andere ist sehr schwer zu fassen. Nicht mehr jugendlich sein, würde auch bedeuten, sich im vollen Ausmaß der Verantwortung, die das Leben mit sich bringt, stellen zu müssen.

Abhängigkeit spielt in meinem Leben immer noch eine große Rolle.Oft mache ich mir Gedanken, wie es wäre, wenn das Sicherheitsnetz meiner Eltern wegfallen würde. Durch meine Behinderung habe ich, glaube ich, den Luxus, mich manchmal nicht in vollem Ausmaß meiner Verantwortung stellen zu müssen. Dass ich es trotzdem tue, war meine eigene Entscheidung. Meine Arbeitslosigkeit, zum Beispiel, wurde viel länger akzeptiert, als die Arbeitslosigkeit eines Menschen ohne Behinderung. Auch Trotzphasen sieht man mir eher nach. Durch meinen Auszug von Zuhause werde ich weniger in Watte gepackt, was gut und sehr notwendig ist. Denn sonst müsste ich mich nie der Verantwortung für mein Leben stellen und wäre in meiner ewigen Jugend gefangen.

Das Älterwerden und Ausziehen muss aber nicht bedeuten, dass die eigene Jugendlichkeit verloren geht. Man verlässt ein gewisses Lebensstadium, aber Lebensstadien sind im Grundsatz auch nur gesellschaftliche Konstruktionen, die an das Erreichen bestimmter Dinge gebunden sind. Aber auch das ist heutzutage nicht mehr so klar, denn es gibt auch Jugendliche, die arbeiten. Wenn man sein Leben vollkommen in die eigene Hand nimmt, so tritt man sozusagen in das Erwachsenenalter ein. Aber man bewahrt sich immer noch ein wenig von seiner Kindlichkeit, ein wenig von seiner Abhängigkeit, sind es nicht die Eltern, die einem die Fragen beantworten, so gibt es ja jetzt Google, ein bisschen von seiner Verletzlichkeit und so weiter.

Wir sind zwar erwachsen, aber ein Teil von uns wird immer jung bleiben. Das ist auch nichts Schlechtes. Für Menschen mit Behinderungen ist es ganz zentral, dass man sie für voll nimmt. Sie müssen als geschlechtliche Wesen gesehen werden, sie müssen die Möglichkeit haben, erwachsen zu werden, das bedeutet Selbstverantwortung zu übernehmen. Nur dann haben sie eine Chance, die starre konstruierte ewige Jugend zu verlassen und ein gesundes jugendliches Erwachsensein zu erleben. 


Link speichern auf:addthis.comFacebookYiggItMister Wongstumbleupon.comdel.icio.usMa.gnoliaask.comdigg.comTechnoratiYahooMyWeblive.com
Seitenanfang