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Rubrik: Lesen statt Hören
19. Februar 2006

Behindert beim Sex?

von Martin Joppich

Im ORF-KulturCafe plaudern Menschen mit Behinderung und Sexualberater über verschiedene Wege zu einem sexuell erfüllten Leben. Freak-Radio betrachtet die Entwicklung in anderen europäischen Ländern, weil Trübsal nicht alles ist, was man blasen kann ...

Moderation: Martin Joppich, Sendungsverantwortung: Christoph Dirnbacher, Julia Wolkerstorfer, Martin Joppich.

Martin Joppich, Moderation: Laut einer im November 2005 veröffentlichten Studie eines Kondomherstellers haben Herr und Frau Österreicher 105 Mal pro Jahr Sex. Die Firma befragte 300 000 Menschen in 40 Ländern. Mit knapp über 100 Geschlechtsakten jährlich liegt Österreich weltweit im Mittelfeld. Menschen mit Behinderungen haben oft Schwierigkeiten den richtigen Partner zu finden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass manche Betroffene ihr Sexualleben als ?wenig zufrieden stellend" empfinden. Unser heutiger Sendungstitel lautet deshalb: Beim Sex behindert? Warum Österreichs Betroffene nicht können wie sie wollen.

Gemeinsam mit unseren vier Gästen möchten wir Wege zu einem sexuell erfüllteren Leben finden. Am Mikrofon begrüßt Sie Martin Joppich. Im ORF Kulturcafe haben wir zwei Gäste eingeladen: Frau Petra Schwarz und Reinhard Leitner. Frau Schwarz, wenn Sie sich bitte kurz vorstellen!

Petra Schwarz, Sexualandragogin: Ich leite in Wiener Neustadt das Institut für Sexualandragogik, über das auf zwei Schienen gearbeitet wird: Auf der einen Seite mit so genannten betroffenen Menschen oder Menschen, die sich in der Situation fühlen, als behindert klassifiziert zu werden ? inwieweit sie es dann selbst sind, müssen sie selbst abklären. Es erstreckt sich von Paarberatung, Einzelberatung bis hin zu den Themen Sexualität, Partnerschaft aber auch Rahmenbedingungen, unter denen sich Sexualität abspielt. Und die zweite Schiene ist die Ebene der Fortbildung und Weiterbildung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in Institutionen und eine weitere Zielgruppe wären auch die Eltern und Angehörigen.

Moderation: Gut, danke! Herr Leitner, darf ich Sie bitten sich noch kurz vorzustellen?

Reinhard Leitner, selbst betroffen & Betreiber der Homepage WIEND: Ja, ich bin 34 Jahre alt, lebe und arbeite in Wien. Hauptberuflich bin ich in einer Beratungsstelle und nebenberuflich betreibe ich eine Online-Zeitung, die nicht nur ein Kunst- und Kulturforum für Nachwuchskünstler ist, sondern sich auch mit dem Thema Behinderung und Sexualität auseinandersetzt. Ich habe selbst ein körperliches Handicap Spina bifida und bin so dazu gekommen.

Moderation: Danke! Am Telefon darf ich Frau Mielke begrüßen, sie ist uns aus Salzburg zugeschaltet. Guten Abend!

Andrea Mielke, selbst betroffene Sozialarbeiterin: Guten Abend.

Moderation: Im Jahr 2003 haben Sie einen Bildband herausgegeben, in dem sich Frauen mit Behinderung in erotischen Posen zeigen.

Andrea Mielke: Ja, in sinnlichen, in erster Linie. Der Titel der Ausstellung: Ein Hauch von Gefühl - Weiblich, behindert, sinnlich. Es war mein Projekt und meine Idee im europäischen Jahr behinderter Menschen 2003 eben aus dem Tabuthema, das ja Sexualität und Behinderung noch immer ist, da einen Beitrag zu leisten, der Sinnliches anspricht und in Bildform wiedergibt.

Moderation: Schlussendlich darf ich Frau Nina de Fries begrüßen, sie ist Sexualbegleiterin und ist uns aus Potsdam/ Berlin zugeschaltet. Frau De Fries, wenn Sie sich bitte auch noch kurz vorstellen.

Nina de Fries, Sexualbegleiterin: Ich bin Holländerin und ich wohne seit 1990 in Berlin, jetzt in Potsdam. Ich arbeite seit neun Jahren als Sexualbegleiterin für Menschen mit einer so genannten Behinderung, seit sechs Jahren fast ausschließlich mit Menschen mit einer so genannten geistigen Behinderung. Ich habe eine therapeutische und eine Massageausbildung und ich biete auch seit Jahren Workshops und Fortbildungen und Vorträge an für Mitarbeiter, die mit Menschen mit einer Behinderung arbeiten oder Eltern und ich bilde auch Leute aus zum Sexualbegleiter.

Moderation: Danke! Wir spielen jetzt mal Musik von Macy Gray, Sexual Revolution.

Musik

Moderation: Zurück bei Freak Radio. Herr Leitner, was erwartet einen Hörer/ eine Hörerin, die beim Surfen zufällig auf wiend.at treffen? Was ist das Besondere an diesem Angebot?

Reinhard Leitner: Sie stoßen eigentlich auf eine Website, die sehr vielfältig ist. Sie beinhaltet nicht nur Nachwuchskünstler in den Bereichen Literatur, Musik und Malerei, sie finden auch einige Kolumnisten, die mehr oder weniger regelmäßig Beiträge schreiben und darüber hinaus gibt es auch noch den Unterbereich Behinderung und Sexualität", wo sie sich informieren können, Erfahrungen austauschen.

Moderation: Wie kamen Sie auf diese Idee - Sexualität und Behinderung?

Reinhard Leitner: Eigentlich?um selbst Erfahrungen zu sammeln. Ich habe mir gedacht, ich kenne mich in dem Bereich nicht so gut aus und möchte Leute kennen lernen, die sich schon damit beschäftigt haben und habe einmal ein paar Seiten ins Netz gestellt: Auf der einen Seite den Vorläufer vom Literatur-, Musik-, und Malereibereich und eben auch die Seiten Behinderung und Sexualität und habe das später dann einmal zusammengeführt.

Moderation: Bei Ihnen gibt es ja auch eine Partnerbörse, wo Sie Behinderte und Nichtbehinderte zusammenführen.

Reinhard Leitner: Richtig.

Moderation: Wie kann man sich das vorstellen?

Reinhard Leitner: Die Leute können mich einfach per Email anschreiben, wenn sie ein Inserat veröffentlichen möchten. Ich prüfe dann, inwieweit das seriös ist und stelle es dann online. Ich verwende da absichtlich ein automatisches System, um da eben eine gewisse Kontrolle und Seriosität bieten zu können.

Moderation: Frau Mielke, haben Sie schon Kontakt mit derartigen Kontaktbörsen gesammelt?

Andrea Mielke: Ja, habe ich. Aber eher am freien Markt, also nicht speziell bei Börsen, wo sich ausschließlich behinderte Menschen einloggen können.

Moderation: Und wie waren die Erfahrungen da?

Andrea Mielke: Die waren zahlreich. Ich habe das elf Monate in einem Stück getestet und habe mich da mit meinem Profil und auch gleich im Nickname sozusagen als ?Rollstuhl-Frau? geoutet und auch mein Anliegen, mein Begehren. Das heißt in Kurzfassung: "Sinnlich erotische Stunden zu zweit" und habe dann geschaut was passiert, habe dann unzählige Anschriften bekommen ? in den elf Monaten würde ich schätzen...ich habe da nie wirklich nachgezählt, aber es waren sicher an die 500 Zuschriften und ich habe mir dann einige Männer davon persönlich angeschaut. Ganz genaue Statistik: 26 Dates habe ich geführt und davon wurden fünf Männer getestet.

Moderation: Und nach welchen Kriterien haben Sie da die Männer getestet?

Andrea Mielke: Für mich war zuerst einmal die Erstreaktion auf mein Outing, also auf meine Behinderung ausschlaggebend, was da halt schriftlich gekommen ist ? ob das jetzt platt war oder nicht oder ob man erkennen konnte, dass der Mann ein gewisses Niveau hat, einfühlsam ist, Kreativität mitbringt. In weiterer Folge wurde daraus ein telefonischer Kontakt um einmal zu erfühlen, wie klingt der Mann sozusagen in meinem Ohr, was kann er verbal von sich geben, wie spricht man miteinander, und wenn diese Ebene noch immer gepasst hat, dann kam es eben zu dem persönlichen Treffen und dort habe ich dann die Feststellung gemacht, dass es spätestens da schon sehr oft gekippt ist in eine Richtung, die ich als Rollstuhl-Frau in Reaktionen von Männern schon häufig kennen gelernt habe, was konkret heißt: Distanz, erschreckt, erstaunt sein bis auch hin zu ganz klarer Abwertung und Diskriminierung.

Moderation: Und welche Versuche außer dieser Kontaktbörse haben Sie noch unternommen? Ich habe hier einen interessanten Artikel gelesen, da war von Call Boys die Rede?

Andrea Mielke: Ja. Ich habe im 38. Lebensjahr entschieden nachdem ich schon einige Jahre in keiner fixen Partnerschaft mehr war, mir einen bezahlten Mann zu gönnen, zu leisten, wie auch immer, bzw. war mein Begehren, nachdem meine körperliche Behinderung sehr hoch ist und ich nicht in der Lage bin mir selbst Gutes zu tun ? ich lebe ja rund um die Uhr mit persönlicher Assistenz ? bin ich auf die Suche gegangen, dieses Bedürfnis von mir auch erfüllt zu bekommen. Musste mich dann auf dem freien Markt bedienen weil es bei uns ? weder in Salzburg noch in Österreich ? kein Angebot in diese Richtung gibt von wegen Sexualassistenz oder Sexualbegleitung. Ich habe mich auch in Deutschland erkundigt, dort wurde mir im näheren Umkreis auch nicht weitergeholfen und somit habe ich mich dann einfach auf dem freien Markt umgesehen und da ? nach einer langen Vorauswahl ? den doch für mich scheinbar richtigen Mann für zwei Stunden gefunden.

Moderation: Sehr gut. Frau De Fries, ich hätte jetzt an Sie eine Frage: Haben Menschen mit mentaler Behinderung andere sexuelle Bedürfnisse als jene, die eine körperliche Behinderung haben?

Nina de Fries: Oh Gott. Also erstmal bin ich nicht der Meinung, dass man das so aufteilen kann Menschen mit einer mentalen Behinderung und Menschen mit einer Körperbehinderung. Es sind an erster Stelle Menschen und da ist jeder ein Individuum, also völlig unterschiedlich von den anderen. In diesem Sinne gibt es hier keine Pauschalantwort. Es ist natürlich schon so was ich in meiner Arbeit dann feststellen kann, dass Menschen mit einer so genannten mentalen Behinderung, so sage ich immer, in einer ganz eigenen Wahrnehmungswelt leben, also wenn sie etwas schwerer beeinträchtigt sind. Das heißt auch, dass sie oft mit einer ganz unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung leben, die eigentlich auch sehr schön ist für jemanden der Sexualbegleitung anbietet weil da diese Erfahrung auch wirklich gemacht werden kann. Menschen mit einer Körperbehinderung oder auch Menschen mit einer leichten geistigen Behinderung haben natürlich auch ganz viele Ideen in ihrem Kopf was da alles damit zusammenhängt da kommen Wörter wie Liebe, Beziehung, Exklusivität ins Spiel und in diesem Sinn kann das dadurch teilweise auch erschwert werden, denn Sexualbegleitung ist eine Erfahrungsmöglichkeit und kein Beziehungsersatz.

Moderation: Dazu eine Frage: Es können bestimmt viele Zuhörer den Begriff ?Sexualbegleitung nicht definieren. Wie darf sich ein Laie Ihre tägliche Arbeit vorstellen und welche Schwerpunkte setzen Sie?

Nina de Fries: Was sagen Sie? Welche Grenzen?

Moderation: Welche Schwerpunkte setzen Sie?

Nina de Fries: Ich sage Ihnen jetzt ganz kurz die Definition von Sexualbegleitung, die jetzt entstanden ist, nachdem ich auch in der Schweiz Leute ausgebildet habe. Das sind Frauen und Männer, die aus einer gesunden, bewussten Motivation heraus Menschen mit Behinderungen Hilfestellungen zum Erleben ihrer Sexualität anbieten und dies zu ihrem Beruf machen. Sie ermöglichen Menschen mit einer körperlichen und oder geistigen Behinderung ein intimes, sinnliches und erotisches Erlebnis und vermitteln ihnen ein positives Körpergefühl. Sie setzen ihren eigenen Körper ein um anderen Freude und Lust zu verschaffen. Sei bieten unter anderem Beratung, Massage, Zärtlichkeit, Körperkontakt, Anleitung zur Selbstbefriedigung und Handentspannung an, das heißt Massage, gegenseitiger Körperkontakt. Ich selber biete keinen Geschlechtsverkehr und keinen Oralverkehr an. Das muss aber jeder für sich entscheiden. Es ist jetzt also nicht so, dass Sexualbegleitung immer genau das da muss jeder für sich schauen, was er anbieten will und mit wem er auch arbeiten möchte.

Moderation: Dazu habe ich eine Frage: Gab es Klienten oder Klientinnen, die Ihre Arbeit nachhaltig beeinflusst haben?

Nina de Fries: Oh Gott, das passiert natürlich dauernd. Sie meinen jetzt, dass ich mit Leuten arbeite und das dann meine Arbeit beeinflusst?

Moderation: Ja.

Nina de Fries: Das ist Gang und Gäbe. Das ist ja das Schöne an der Arbeit. Es ist ein total lebendiges Geschehen und mit jeder Begegnung entstehen neue Erkenntnisse. Ich habe auch nie entschieden: Ich werde das jetzt machen ? die Arbeit ist entstanden weil es einfach Anfragen gegeben hat und dadurch ist klar geworden, dass es auch einen großen Bedarf gibt an so etwas. Es kommt also nicht aus irgendeinem Ideal oder aus irgendeiner Idee heraus.

Moderation: Frau Petra Schwarz, was bedeutet Sexualbegleitung denn überhaupt in Österreich?

Petra Schwarz: Sexualbegleitung in der Form, wie es Nina De Fries beschreibt, wird in Österreich nicht angeboten, wird wohl diskutiert. Da gibt es noch verschiedene Rahmenbedingungen, die als sehr schwierig erlebt werden, auch sehr viele Ängste, Befürchtungen von Mitarbeitern, Personen, die sich dafür interessieren würden wie es denn juristisch aussieht. Und es gibt hier juristisch einen Gesetzestext, der formuliert ist in der Form, dass die Grenze dort zu ziehen ist, wo aus dem eigenen Lustgewinn des/ der Begleiterin dient, oder auch der Mitarbeiterin dient. Dann gibt es noch diesen kleinen feinen Nebensatz: Davon wird nicht auszugehen sein. Sprich dass die Begleitung von Menschen mit so genannten Behinderungen dem eigenen Lustgewinn dient. Da ist so in einem Nebensatz auch die Wertung versteckt, dass ein Mensch mit Behinderung nicht begehrenswert wäre.

Und das ist für mich schon eine ganz krasse Abwertung. Zum Beispiel, diese eine juristische Schiene scheint mir generell auch dort wo es die Arbeit mit Institutionen betrifft ganz ganz wichtig zu sein für Menschen, dass hier einmal eine juristische Klarheit besteht, weil die Menschen einfach Ängste haben: Das was sie tun, könnte in einen illegalen Bereich fallen. Da sehe ich noch sehr viele Unsicherheiten. Mit dem was wir an Sexualbegleitung in Österreich haben und das ist mir wichtig, dass jetzt auch so darzustellen und so zu formulieren gibt es ja professionelle Sexarbeit, professionelle Sexarbeiterinnen. Das ist eine Dienstleistung, die gemäß dem Normalisierungsprinzip, das Personen kennen, die in der Begleitung arbeiten mit dem Normalisierungsprinzip ist gemeint, Menschen mit Behinderungen sind jene Lebenssituationen zu ermöglichen, die Menschen mit Nichtbehinderung selbstverständlich zur Verfügung stehen.

Da an die 80 Prozent der männlichen Bevölkerung irgendwann in ihrem Leben Dienstleistung von SexarbeiterInnen beanspruchen, ließe sich hier die Schlussfolgerung ableiten, dass ja auch hier professionelle Sexarbeit zur Verfügung stehen könnte. Hier gibt es auch wieder einige Schwierigkeiten: Dass man einerseits sagt: Ok, wer darf, kann, soll denn hier begleiten? Welche speziellen Kompetenzen wären denn gefragt? Gibt es denn überhaupt spezielle Kompetenzen? Auf der anderen Seite taucht natürlich immer wieder die Frage auf: Und wie ist denn jetzt die Sexualität eines Menschen mit geistiger Behinderung oder wie ist denn jetzt die Sexualität eines Menschen mit einer körperlichen Behinderung? Ich stelle an dieser Stelle dann gern die Frage bzw. ich schlage dem Menschen dann den Deal vor, dass ich sage: Wenn Sie mir zum Beispiel erklären, wie die Sexualität der Männer funktioniert weil das möchte ich immer schon gern wissen, ich habe nämlich keine Ahnung, ich bin eine Frau.
Wenn man das so verallgemeinern kann, dann könnte man die Schlussfolgerung ableiten wie behinderte Sexualität funktioniert. Es lässt sich darüber also nicht so eindeutig eine Aussage machen. Das wäre eine Verallgemeinerung.

Moderation: Sie arbeiten mit Menschen mit Behinderungen direkt, aber auch mit Mitarbeitern. Warum ist die Arbeit mit Mitarbeitern bzw. mit Betreuern auch so wichtig?

Petra Schwarz: Da geht es einmal um ein Kommunikationsphänomen. Sexualität ist ja auch ein Kommunikationsverhalten. Zielt ab auf ein Gegenüber in den meisten Fällen und dass man sich einig wird darüber oder eine Übereinstimmung herstellt, was voneinander gewollt wird. Also Sexualität ist Kommunikation somit kann sie gelernt werden und ist auch zu lernen. Wenn ich jetzt nur mit einzelnen Personengruppen arbeite, weiß die andere Gruppe ja nicht, was die Zielsetzung ist.

Es kann dann zu Phänomenen führen, dass ich zum Beispiel mit einer Gruppe von so genannten geistig behinderten Frauen arbeite an der Selbstbestimmung, zum Beispiel im Rahmen der Prävention von sexuellem Missbrauch und Übergriffen, ich arbeite an der Selbstbestimmung, dass klar formuliert wird, trainiere den ganzen Tag, dass ich sage, wo meine Grenzen sind, also ganz klar: Das möchte ich nicht, dass will ich so. Das klingt jetzt so einfach ? das ist ganz schwierig, auch für Menschen ohne Behinderung. Und am nächsten Tag kann es dann sein, dass Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen anrufen und sagen: Ja was ist jetzt passiert? Seit die Leute bei Ihrem Seminar waren, sind sie jetzt auf einmal so eigenwillig geworden.

Und ich frage dann noch mal rück und sage: Ich dachte, das wäre die Zielsetzung gewesen. Das wird dann natürlich innerhalb einer Situation als sehr schwierig erlebt und empfunden, was ich auch nachvollziehen kann. Wenn die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht wissen, aus welcher Zielsetzung heraus, mit welcher Absicht wir hier Kompetenzen trainieren, wird es schwierig. Sie stehen dann auch in einer Situation, wo sie nicht wissen, wie sie weiterarbeiten können. Das heißt, ich wünsche mir, dass man sich immer mit den Menschen, die es betrifft oder nach Möglichkeit immer mit den Menschen, die es betrifft, an einen Tisch setzt. Das wünsche ich mir auch für die Situation in Österreich, dass man nicht Überlegungen anstellt: Wie könnte denn eine Gruppe von Personen fühlen, denken, generell sein. Sondern dass wir uns miteinander zusammensetzen und die Personen direkt befragen, denn da können wir ganz viel davon lernen.

Moderation: Gut, dann darf ich um eine Musikeinspielung bitten, und zwar Simon & Garfunkel, Mrs. Robinson.

Musik

Moderation: Zurück zu unserer Diskussion. Frau Mielke, was sagen Sie als Österreicherin nun zu dieser Entwicklung aus anderen Ländern?

Andrea Mielke: Ich finde das nur großartig. Ich denke, gerade in meiner Arbeit aus SozialarbeiterInnen in Beratungsgesprächen, also gerade betroffene Frauen erleben immer wieder, dass das ein unglaublicher Bedarf ist. DA hoffe ich, dass ich es noch erleben werde, dass sich da in Österreich auch etwas tut in die Richtung Sexualassistenz, Sexualbegleitung, weil ich einfach glaube, dass das ein brennendes Thema ist und weil das einfach für jeden Menschen auch den Selbstwert ausmacht und die Bestätigung sich als Frau oder Mann zu empfinden, sich auszuprobieren, sich zu spüren und da hängt dann denke ich, wenn man davon ausgeht, dass Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben führen wollen, da hängt einfach entscheidend viel davon ab, wie ich dann auch im ?anderen? Alltag im Bezug mit den Dingen umgehe und da spielen eben auch die Ebene der Sexualität und der Körperlichkeit eine wesentliche Rolle.

Moderation: Frau De Fries, ich hätte an Sie noch eine Frage: Erfahren Sie von Seiten der Eltern oder Betreuern denn auch Widerstände? Wenn ja, welche Argumente gegen professionelle Sexualbegleitung bekommen Sie am häufigsten zu hören?

Nina de Fries: Es ist so, dass ich eben diese Fortbildungen und Workshops anbiete für Mitarbeiter und meistens, wenn ich irgendwo eingeladen werde, da ist da schon eine gewisse Offenheit da, die würden mich gar nicht einladen nur um ihre Einwände zu äußern. Und dann ist es natürlich immer so, dass manche mehr damit anfangen können und andere weniger. Ich selber habe die Beobachtung gemacht, dass viele Menschen, die professionell mit Menschen mit Behinderungen arbeiten, nicht bereit sind, ihre eigene Sexualität zu reflektieren, ihren eigenen Umgang mit Sexualität zu reflektieren und dass dadurch auch viele Probleme entstehen, weil sie einfach nicht ehrlich sind und sagen: Da habe ich eine Grenze. Und was sie dann zum Beispiel formulieren kann so etwas sein wie: Ja, aber das kann der Mensch doch nicht einordnen, und dann kann er das vielleicht nicht verstehen, dass es das dann nicht immer gibt. Solche Mitarbeiter gibt es dann und die sind meiner Meinung nach auch nicht bereit zu sehen: Das ist meine Angst.

Denn, was ich an solchen Veranstaltungen mache, ich erzähle einfach nur über Erfahrungen, ich habe keine Theorien. Es sind einfach meine Erfahrungen und ich kann dann auch nie für etwas garantieren. Ich kann nur sagen, was ich erfahren habe und was ich beobachtet habe. Und das ist oft etwas ganz anderes als das, was die immer alles denken. Dann ist Gott sei Dank aber auch viel Offenheit da, und wenn ich Eltern kennenlerne, die haben oft schon einen großen Schritt machen müssen um überhaupt mit mir Kontakt aufzunehmen und sind dann auch dementsprechend vielleicht auch ein bisschen erleichtert, dass sie endlich den Schritt geschafft haben und ich versuche die Leute immer so ein bisschen zu beruhigen, oder die Ängste zu nehmen, indem ich es einfach so offen lege wie nur möglich, was da alles passiert und was ich mache. Das ist so meine Art, wie ich das dann am besten funktioniert, dass sich die Leute damit ein bisschen entspannen. Aber wie gesagt: Es muss auch die Bereitschaft da sein, die eigene Sexualität wahrzunehmen. Das ist im Grunde genommen das A und O.

Moderation: Eine Frage noch: Gibt es in Österreich Beratungsstellen, die auf den Bereich Partnerschaft und Sexualität spezialisiert sind?

Petra Schwarz: Das ist die Frage: Was gibt es offiziell? Was ist an offiziellen Initiativen da und sag ich einmal privat Entstandenen? Das lässt sich mittlerweile im Zeitalter des Internet ganz gut finden. Es gibt da zum Beispiel Ninlil, das mir bekannt ist, auch die Plattform von Herrn Leitner, wo wie auch schon die Schnittstelle haben, da geht es schon in die Eigenaktivität. Es ist auch mal so ein prinzipieller Zugang immer in der Sexualität: Wie behalte ich es, wie privat möchte ich es bewahren? Das heißt, es gibt auch die Möglichkeit, rein theoretisch offizielle Familienberatungsstellen aufzusuchen. Inwieweit erlebe ich mich in meiner Identität als Mensch mit Behinderung als jemand, der ein Spezialangebot braucht? Inwieweit sage ich, ich traue mir und auch den anderen zu, dass ich einmal hinausgehe und selbst etwas auf die Beine stelle? Es gibt auch die Möglichkeit Eigeninitiative zu ergreifen und dafür einen Rahmen zu finden, zum Beispiel auch im Institut für Sexualandragogik, im weitesten Sinne von Gruppen, die sich anschauen: Wir gehen wir als Paar miteinander um?

Ich halte es von meinem persönlichen Zugang her für wichtig, hier keinen ganz großen Unterschied zu machen, zwar schon auf die spezielle Lebenssituation der Menschen einzugehen, aber zu sagen, ok, ich arbeite prinzipiell mit dergleichen Methoden, die auch entfernt sind von einer Therapie, im engsten Sinne.

Moderation: Danke! Diese Sendung war darauf ausgerichtet, aufzuzeigen, welche Angebote es zurzeit gibt. Wir sind nun am Ende der Sendung. Ich darf mich recht herzlich bei meinen Gästen im ORF Kulturcafe für ihr Kommen bedanken, auch bei meinen Gästen, die mir via Telefon zugeschaltet waren - danke auch an Sie, dass Sie sich Zeit genommen haben. Alle in unserer Sendung erwähnten Homepages und Links finden Sie auf unserer Homepage www.freak-radio.at.

Wir bedanken uns bei Robert Bablitzka für die technische Unterstützung. Ganz herzlich möchte ich mich bei meiner Redaktion Julia Wolkerstorfer und Christoph Dirnbacher bedanken. Auf Wiederhören sagt Ihnen Martin Joppich.


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