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Rubrik: Lesen statt Hören
10. Februar 2002

Österreich und die Hospiz-Idee

von Hubert Wallner

Jetzt gibt es aber eine zweite Ebene: Was ist mit jenen Schmerzen, die die Medizin beseitigen könnte? Wir sagen heute auf universitärem Gebiet auch im Gespräch mit den medizinischen Fakultäten, dass es durchaus möglich wäre, den Großteil zu dämpfen und so zu lindern, dass eine Sterben in Würde und mit Charakter, Freiheit und Verantwortung möglich wäre - dass das aber auch Voraussetzungen hat, nämlich technische Voraussetzungen: Es gibt heute hervorragende Pumpen, wo das Schmerzmittel dosiert agegeben wird, sodass es über Stunden, ja sogar auch Tage hinweg keinerlei Einstellungen braucht, womit ein Sterbender auch durchaus zu Hause bleiben könnte und man keinerlei Aktivitäten von den Angehörigen verlangen würde.

Es braucht also einmal diese medizinische Leistung, und das zweite, was es noch brauchen würde, wäre eine verbreiterte palliative Ausbildung aller Mediziner, aller Ärzte. Wir sind dabei, auch Lehrstühle für palliative Medizin im Bereich unserer Universitäten zu fordern. Die österreichische Bildungsministerin Gehrer hat dies auch im Zuge dieses politischen Konzepts zugesagt, ich glaube, es ist ganz wichtig, dass es keine Ärztin und keinen Arzt gibt, die nicht eine exzellente Ausbildung haben, einschließlich der Fortbildung derer, die schon im Dienst sind. Es muss also ein Mensch in diesem Land das Gefühl haben, wenn ich nachhause gehe oder daheim bleibe, um das Sterben zu vollbringen, dann werde ich optimal medizinisch versorgt und ich muss dazu nicht in einem besonderen Haus sein, ich muss dazu nicht einmal in einem Hospiz sein, sondern es genügt eben, wenn diese medizinische Versorgung zu Hause geschieht.

Hubert Wallner: Herr Professor, Herr Dr. Zulehner, zwei Fragen: Palliativmedizin, was heißt das genau?
Und eine Formulierung von Ihnen hat mich ungeheuer beeindruckt, nämlich "das Sterben zu vollbringen". Es ist eine Aufgabe!

Univ.Prof. DDr. Paul Michael Zulehner: Also Palliativmedizin sagen wir heute auch in einem viel weiteren Sinn. Es ist nicht nur eine medizinische Frage, nicht nur die Frage, dass der Arzt Opiate spritzt, sondern dazu gehört natürlich auch der Schmerz der Seele. Ich kenne Leute, die weit weniger physisch leiden, aber sehr an unerledigten Aufgaben, dass sie mit Menschen zerstritten sind, mit denen sie das Leben gelebt haben. Wir möchten eigentlich zusehen, dass wir auch den Schmerz der Seele lindern und nicht nur den Schmerz des Körpers, das ist das eine.
Deshalb reden wir heute auch oft nicht mehr von der Palliativ-Medizin sondern vom Palliativ-Care, wo im Zusammenspiel von Ärzten, Psychologen, Seelsorgern und Therapeuten diese Art von Leiden gemildert wird.

Und das zweite: Es ist schon eine Erfahrung, die wir in der Österreichstudie gesehen haben: Wir haben zwei Hauptgruppen von Menschen: Die einen, die den Tod verdrängen, und wollen, dass er jenseits des Bewusstseins und schon fast nach dem Leben stattfindet. Und die anderen, die sagen: Nein, es gibt nichts mehr, wo das Leben ausreift, als wenn ich es in das Leben in das Sterben integriere und sage, es ist wie in einer großen Schubertsymphonie das Finale, das noch gespielt werden muss und es wäre eine Unvollendete, würde dieses Finale nicht gespielt werden. Diese Menschen brauchen dann aber jene Unterstützung, dass dieses Sterben, das ja auch sehr stürmisch sein kann, dass dieses Lebensschiff, um ein anderes Bild zu verwenden, sicher in den Lebenshafen kommen kann. Es gibt aber sehr unerleuchtete Leute, die sagen, ja gut, wenn er diese letzte Lebensstrecke nicht mehr schafft und in Turbulenzen gerät, dann töten wir ihn eben an dieser Stelle und wir versenken sein Lebensschiff! So glaube ich, ist diese Gesellschaft heute gefragt, entweder lotsen zu lernen oder Schiffe zu versenken. Und ich bin sehr froh, dass mein Land Österreich sich im Vergleich mit den Niederlanden nicht für das Versenken, sondern für das Lotsen entschieden hat.


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