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Rubrik: Lesen statt Hören
16. November 2003

Lehrer mit Behinderung

von Gerhard Wagner

Irmgard Kampas: Das hat sogar sehr gut funktioniert. Ich habe vorher hospitiert, mir wurde von der Schule auch abgeraten. Die Schule konnte mit mir nicht umgehen, denn eine blinde Lehramtsstudentin hatten sie noch nie. Sie war also mit mir konfrontiert und man hat mich damals gefragt, warum ich denn eigentlich Lehrerin werden wolle. Ich wäre in einem Büro als Schreibkraft besser aufgehoben, hat es damals geheißen, und man hat mir das Unterrichten ganz einfach nicht zugetraut.

Ich habe aber darauf bestanden, meine Unterrichtseinheiten absolvieren zu können.
Eigentlich war es eine sehr schwierige Klasse. Es war eine 3. Klasse Unterstufe mit pubertierenden Jugendlichen. Mein Betreuungslehrer hatte selbst die größten Schwierigkeiten. Einmal habe ich im Unterricht erlebt, dass sich ein Jugendlicher im hinteren Teil der Klasse eine Zigarette angezündet hat. Derselbe ist dann nach vorne gelaufen und hat mit einem anderen Klassenkollegen in der ersten Bank gerauft. Es war dort sicher nicht einfach zu unterrichten.
Es war ein recht hoher Lärmpegel in der Klasse und auch die Eltern mussten immer wieder in die Klasse kommen.

Dann kam der Tag meiner ersten Unterrichtseinheit. Und siehe da: Die Schüler waren brav, haben mitgearbeitet, es war kein Lärm in der Klasse. Sie haben sich sogar gestritten, wer mir den Overheadprojektor einsteckt oder bei den Folien behilflich ist.

Ich war mit ihnen sehr zufrieden, denn sie haben wirklich mitgearbeitet. Ich hatte keine Probleme, und sieh haben sich auch sehr schnell auf meine Behinderung eingestellt. Wir haben sofort eine gute Interaktion aufgebaut. Sie haben halt nicht aufgezeigt, sondern wenn sie etwas wollten, haben sie sich anders bemerkbar gemacht, entweder haben sie auf den Tisch geklopft oder sie haben ihren Namen herausgerufen oder ich habe sie aufgerufen; wir haben da schon Möglichkeiten gefunden.

Beim Abschlussgespräch zwischen mir und dem Betreuungslehrer hat er mir dann gesagt, man sehe deutlich, dass ich schon Unterrichtserfahrungen hätte und nicht das erste Mal in der Klasse stünde - ich hatte ja zu diesem Zeitpunkt schon in Frankreich unterrichtet - aber: Die Schüler waren jetzt beeindruckt, dass sie eine nicht sehende Frau sind, das waren sie nicht gewohnt, aber Sie werden sehen, wenn Sie auch sechs Monate in der Klasse stehen, dann werden die Schüler genau so sein - und sie hätten dann auch disziplinäre Probleme. So wurde ich damals entlassen.

Aber es gibt Studien, die belegen, dass genauso wie bei Kindern von Eltern mit Behinderung auch die Schüler von Lehrern mit Behinderung eine großere Eigenverantwortung haben und schneller selbständig werden, weil sie sich nicht ständig auf andere verlassen. In Frankreich ist es deshalb sogar üblich, dass schwierige Klassen den Lehrern mit Behinderungen anvertraut werden.


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