Seitenanfang:

Link zum InhaltLink zum MenüLink zur Suche

Inhalt:

Rubrik: Freak-Science
10. Dezember 2008

Durchblick mit Sehbehinderung - Porträt eines Managers

von Julian M. Hadschieff (Transkription des Vortrages)

Insbesondere die Erkenntnis, es alleine nicht schaffen zu können, hat mir sehr weiter geholfen. Dass ich eben jemanden brauche, der mir das, was da steht, kurz zusammengefasst näher bringt. Und so gestaltet sich auch mein heutiger Arbeitsablauf: Meine Sekretärin liest mir vor, was in meinen E-Mails, der Post und sonst wo drinnen steht Ich sage dann: »Okay, beantworten Sie bitte wie folgt...«. Mein Arbeitstag startet bei mir, wenn ich ins Taxi steige oder mich mein Chauffeur abholt. Ans Telefon zu gehen ist das erste, was ich in der Früh tue. Bis ich dann in meinem Büro bin, habe ich schon einmal eine halbe Stunde, in der ich Post und Telefonate abarbeiten kann. Ich konnte mein Studium erfolgreich abschießen. Meine Auslandsaufenthalte haben mir für mein späteres Leben sehr geholfen. Ich habe fünf Auslandspraktika gemacht, was damals noch Ende der 70-er, Anfang der 80-er etwas Besonderes war. Das ist mir gar nicht so besonders vorgekommen, aber ich habe gelernt, sehr selbständig zu agieren. Ich war in den USA, Kanada, Schweiz, Liechtenstein und in Deutschland, das hat reibungslos funktioniert. Ich habe zwar nie gesehen, wohin ich gehen muss, also habe ich nach dem Weg gefragt.Üblicherweise hat man mir die korrekte Antwort gegeben. Ich denke, diese Erfahrungen, dass es sinnvoller ist mich zu erklären, haben mich gestärkt. Wenn ich jemanden kennen lerne, sage ich heute: »Und übrigens, ich sehe schlecht. Also, wenn ich Sie wiedertreffe, müssen Sie mich bitte ansprechen, sonst gehe ich an ihnen wortlos vorbei.«

Ich weiß noch, als ich vor 18 Jahren etwa nach Wien kam, war ich noch nicht in dem Ausmaß in der Lage, über den Dingen zu stehen. Da habe ich dann teilweise mit anhören müssen, wie jemand über mich sagt: »So ein arroganter Hund – der kann nicht einmal grüßen!« Man sieht mir meine Sehbehinderung kaum an. Jemand sitzt beispielsweise in einem Lokal am Nebentisch und grüßt freundlich herüber. Ich ignoriere ihn dann. Deswegen ist es gut, zu sagen: »Ich sehe nicht.« Vor allem dann, wenn die Behinderung nicht augenscheinlich ist. Aber das zu tun, war eine Überwindung der eigenen Barriere im Kopf. Das Erkennen, dass Menschen jemanden wertschätzen – gleich ob man gut oder weniger gut sieht. Man ist ein sprichwörtliches »Arschloch« oder man ist keines, aber das hat nichts damit zu tun, ob man eine Behinderung hat oder nicht. Die Verteilung ist meiner Meinung nach wahrscheinlich eine ziemlich gleiche. Bei behinderten wie nicht behinderten Menschen. Aber diese Erkenntnisse brauchen offensichtlich Zeit - zumindest bei mir. Ich habe gelernt, dass es eigentlich eine Stärke ist, wenn ich mich öffne und über meine Bedürfnisse spreche.


Link speichern auf:addthis.comFacebookYiggItMister Wongstumbleupon.comdel.icio.usMa.gnoliaask.comdigg.comTechnoratiYahooMyWeblive.com
Seitenanfang