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Rubrik: Freak-Science
10. Dezember 2008

Durchblick mit Sehbehinderung - Porträt eines Managers

von Julian M. Hadschieff (Transkription des Vortrages)

Als ich mit neunzehn, zwanzig - zwar schon sehr schlecht sehend – meinen Sport gemacht habe und im Eisschnelllaufteam war, hätte ich mich nie als behinderter Mensch bezeichnet. Ich habe damals auch nicht darüber gesprochen, dass ich schlecht sehe. Ich habe versucht, alles das zu tun, was alle anderen gemacht haben. Ich hatte keinen Führerschein, habe aber dann und wann das Auto meiner Mutter geklaut, um ein paar Runden zu drehen. Ich bin mit dem Motorrad gefahren und war ein ziemlicher Freak, weil ich natürlich die Kurven sehr spät gesehen habe und mich dann halt extrem hineinlegen musste, um überhaupt noch herum zu kommen. Damals habe ich einen riesen Schutzengel gehabt. Ich bin auch Radrennen gefahren – ich war einmal Vizebergmeister in Tirol beim Bergfahren. Den Berg hinauffahren ging ja - da war ja kein Problem - aber hinunter war es ein bisschen kritischer. Ich habe es mir nicht eingestanden und erst langsam gelernt - anfang zwanzig - mich mit der Behinderung zu konfrontieren. Dabei habe ich erkannt, dass die Barriere, die sich für mich als eine sehr große dargestellt hat, primär eine Barriere für mich im Kopf war. Weil ich mir nicht eingestehen wollte, dass es völlig egal ist in der Wertschätzung der Mitmenschen, ob ich jetzt behindert bin, also sehbehindert bin, oder nicht. Ich habe mir damals gedacht: Wenn jemand weiß, dass ich nicht sehe, dann mögen sie dich vielleicht nicht. Deshalb habe ich versucht, das alles zu vertuschen. Wenn ich mit einer Freundin ins Kino gegangen bin, habe ich mich in die letzte Reihe gesetzt und an sich nur so farbige Schleier gesehen und den Ton mitbekommen. Ich habe mir dann eingeredet: Ich gehe eh nicht wegen des Kinos, sondern eben eher wegen des Mädels neben mir ins Kino. Wenn wir zu Hause waren, und Fernsehen geschaut haben, dann bin ich normalerweise so 30 cm vor dem Fernseher gesessen. Kaum ist jemand - ein Besuch – gekommen, habe ich mich vier Meter weggesetzt, um zu verbergen, dass ich schlecht sehe. Durch Bekannte, durch FreundInnen von mir, die etwas älter waren als ich, habe ich dann irgendwann einmal gelernt, dass es überhaupt kein Thema ist, sich in einem Lokal die Speisekarte vorlesen zu lassen. Wenn ich in ein Lokal gegangen bin, habe ich zuerst die Speisekarte aufgeschlagen, hinein geschaut und dann gesagt : »Na ja, ein Schnitzel.« Wenn der Kellner dann gesagt hat : »Wir haben kein Schnitzel«, habe ich geantwortet: »Aha. Ja, dann. Was empfehlen Sie mir denn?« Da habe ich dann entweder das gegessen, was weg musste in dem Lokal, oder ich habe einen guten Vorschlag bekommen vom Küchenchef.


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