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Rubrik: Freak-Science
10. Dezember 2008

Arbeitswelt von Menschen mit intellektueller Behinderung

von Oliver Koenig (Lektor am Institut für Bildungswissenschaft Universität Wien)

Vor welchen Ausgangslagen befinden wir uns nun, wenn wir die aktuellen Entwicklungen am Arbeitsmarkt betrachten? Seit mindestens einem Jahrzehnt ist dabei von einem strukturellen Wandel des Arbeitsmarktes die Rede: Viele Begriffe, die diesen Wandel geprägt haben, sind auch in dem Vortrag von Mag. Hadschieff zur Sprache gekommen: die Hochleistungsgesellschaft oder

Informationsgesellschaft. Aktuelle Studien zeigen, dass vor allem jene Berufe, in denen die Entwicklung, die Weitergabe oder der Handel mit Informationen einen zentralen Kern der so genannten »Job-Description« ausmachen, zu jenen Berufen gehören, die in den letzten zehn Jahren am meisten zugenommen haben. Demgegenüber stehen Berufe in produzierenden Bereichen, also jene Tätigkeiten, in denen in der klassischen Vorstellung Menschen mit einer intellektuellen Behinderung primär beruflich tätig sind. Diese werden im Zuge der Globalisierung zunehmend rationalisiert, »outgesourct« beziehungsweise in Billiglohnländer verlegt. Durch zahlreiche gesamteuropäische Anstrengungen im Zuge der so genannten Lissabon-Strategie, durch die Europa zur weltweit stärksten Wirtschaftsmacht avancieren sollte, konnte zu Beginn des neuen Millenniums eine sehr positive Entwicklung auf europäischen Arbeitsmärkten beobachten werden, so auch in Österreich. Die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen und anfangs haben auch Menschen mit Behinderungen von diesen Entwicklungen profitiert. In einer Studie der OECD im Jahre 2007, in der alle Mitgliedsstaaten der OECD erfasst wurden, hat sich allerdings gezeigt, dass Menschen mit einer Behinderung von dieser allgemeinen positiven Entwicklung nicht gleichermaßen profitieren konnten und es sogar parallel in Zeiten sinkender Gesamtarbeitslosigkeit zu einer steigenden Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung gekommen ist. Dieser Trend wurde wiederum behinderungsgruppenspezifisch beobachtet. Also zeigt sich ein verstärkter Handlungsbedarf nicht erst seit der in den letzten Monaten sich zunehmend verstärkenden Weltwirtschaftskrise, von deren Folgen vor allem minder qualifizierte Personen sicherlich überproportional betroffen sein werden.
Lassen sie uns zurückkehren zu dem, was wir bezüglich Arbeitswelt und Hochleistungsgesellschaft gehört haben: Die Arbeitswelt produziert immer mehr Personen, die den Erwartungen und Anforderungen dieses Systems nicht mehr standhalten können. Bedingt durch diese erhöhten Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt nehmen vor allem psychische Beeinträchtigungen und daraus resultierende Behinderung immer mehr zu. Dies hatte zur Folge, dass vor allem die Position von jenen Menschen, die einen sehr hohen Bedarf an berufsbegleitender Unterstützung benötigen, sich zunehmend marginalisiert hat. Diese Entwicklung schreitet bisweilen unangebrochen fort. Gleichzeitig unternehmen gesellschaftliche Institutionen wie beispielsweise der Arbeitsmarkt oder die Schule, wie bereits vorher erwähnt, Anstrengungen, die zu einer Entlastung der jeweiligen Systeme führen. Sozialpolitisch wurden daraufhin Schritte gesetzt, welche spätestens seit der Einführung der so genannten Beschäftigungsoffensive der österreichischen Bundesregierung (besser bekannt als »Behindertenmilliarde«), welche die Grenzen für die Zuschreibung einer Behinderung sukzessive erweitert haben. Personen, die heute vom beruflichen Unterstützungssystem als Menschen mit Behinderung gefasst werden, wären vor zehn Jahren vielleicht noch nicht in den Genuss dieser Zuschreibung gekommen. Es sind jedoch all diese – auch sozialpolitisch initiierten - Prozesse und Effekte, die jene Entwicklung ausgelöst haben, die bereits Tobias Buchner in seinem Vortrag als »Creaming - Effekt« bezeichnet hat: In jenen Bereichen, in denen es ohnehin um von gesellschaftlicher Marginalisierung bedrohte Personengruppen geht, setzen sich zunehmend die leistungsstärkeren Personen durch, diejenigen, denen es nicht – oder zumindest nicht in absehbarer Zeit - zugetraut wird, bleiben als sprichwörtlicher Bodensatz übrig. Für diese Gruppe gesellschaftlich »Überflüssiger« bleibt – außer der generellen Passivität – zumeist nur die Beschäftigungstherapie als einzige berufliche Perspektive.
Zu all jenen Befunden bewegen wir uns in Österreich auch in der Argumentation solch angedeuteter Entwicklungen, was wissenschaftlich haltbare Forschungsergebnisse betrifft, jedoch auf dünnem Eis. Was in Österreich bis zum heutigen Tag fast gänzlich fehlt, ist kritische wissenschaftliche Forschung darüber, wie und ob die historisch gewachsenen Unterstützungssysteme für Menschen mit Behinderung überhaupt zu jenen Ergebnissen führen, für die sie gesellschaftlich zuständig wären. Gudrun Wansing, eine deutsche Soziologin, die sich intensiv mit Fragen der Exklusion und Inklusion von Menschen mit Behinderung befasst, meint dazu, dass »die wohlfahrtstaatliche Bearbeitung der Exklusionsrisiken von Menschen mit Behinderung in rehabilitativen Sonderwelten Gefahr läuft, die intendierte Zielsetzung der selbstbestimmten Teilhabe nicht nur zu verfehlen, sondern durch ihre Funktions- und Wirkungsweise einen negativen Kreislauf zu fördern, in dem Rehabilitation vielfach selbst die Probleme erzeugt und verstärkt, auf die sie reagiert.«


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